Schwerter und Rosen
einmal gesehen?
Bevor sie sich jedoch weiter mit dem Rätsel befassen konnte, drangen von unten laute Klagerufe an ihr Ohr. Nach kurzem Zögern raffte sie sich mit einem letzten Blick auf ihre Entdeckung auf, klopfte den Staub aus den Röcken und eilte die neue Treppe ins Untergeschoss hinab, in den von Palmen überschatteten Hof hinaus. Kaum hatten sich ihre Augen an das grelle Sonnenlicht gewöhnt, als ihr Blick auf einen übel zugerichteten Diener Nathans fiel, der mit zitternden Händen gierig aus einer Holzschale trank, die eine junge Magd ihm gereicht hatte. »Ilan!« Entsetzt starrte Daja auf das blutig geschlagene Gesicht des jungen Mannes, der mit wackeligen Beinen an seinem ebenfalls mit getrocknetem Blut überzogenen Kamel lehnte. »Wo ist Nathan?« Bebend vor Aufregung packte Daja die schmalen Schultern des Jungen und blickte ihm in die verkrusteten Augen. »Wir sind in der Wüste überfallen worden!«, platzte der Knabe heraus, sobald er die Schale geleert und abgesetzt hatte, und wischte sich den Mund. »Sie haben Nathan gefangen genommen!« »Oh, Heilige Mutter Gottes«, murmelte Daja, ohne auf die missfälligen Blicke der jüdischen Magd zu achten. »Wie viel Unglück muss noch über dieses Haus kommen?« Mit zitternd vor den Mund geschlagener Hand blickte sie dem Tempelritter nach, der vor wenigen Augenblicken Rahels Krankenlager verlassen hatte – als könne dieser ihre Frage beantworten.
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Wie jeden Tag hatte Curd von Stauffen Rahel einen Besuch abgestattet und gehofft, dass sie einen der bisher noch seltenen Augenblicke des Wachens in seiner Gegenwart erleben würde. Doch erneut hatte er sich damit begnügen müssen, ihr engelsgleiches Gesicht zu betrachten und sich jede Einzelheit ihrer Züge einzuprägen. Und wie jedes Mal, wenn er sie verlassen musste, schmerzte sein Herz ein wenig mehr. Wenn sie doch nur endlich die wundervollen Augen aufschlagen und ihn anblicken würde!, dachte er sehnsüchtig und strich sich geistesabwesend über das schlecht rasierte Kinn, während er unter einer der Dattelpalmen innehielt, um seine Gedanken zu ordnen. »Herr!« Die tiefe Stimme drang gedämpft aus dem Schatten an sein Ohr, gerade als er den Rückweg zu seiner schäbigen Unterkunft einschlagen wollte. »Hier, Herr!« Irritiert wandte sich Curd der hohen Steinmauer an der Westseite des Platzes zu, in deren Schutz sich ein schäbig gekleideter Mann so gut wie möglich vor der unbarmherzigen Hitze zu verbergen suchte. »Was wollt Ihr?«, fragte der Templer barsch, nachdem er mit wenigen Schritten den Platz überquert hatte. Unwillig blickte er auf den Störenfried hinab. Die fadenscheinige Kleidung des Mannes wies ihn als einen der wenigen römisch-katholischen Mönche aus, die nach dem Fall der Stadt in Jerusalem geblieben waren. Sein knöchellanges Gewand wurde von einer groben Kordel zusammengehalten, und die sonnengebräunte Haut der Tonsur verriet, dass er sich schon längere Zeit unter der heißen Sonne des Ostens aufhielt. Ein stechender Schweißgeruch ging von ihm aus und ließ den Tempelritter angewidert die Nase rümpfen.
»Herr, kann ich Euch einen Augenblick sprechen?«, erkundigte sich der Kirchenmann, während seine listigen Äuglein über das Gesicht des Ordensritters glitten. »Worum geht es?«, versetzte Curd mürrisch und musterte seinerseits die Züge des Anderen. »Ich komme vom Patriarchen«, hub der Mönch an. Heraclius von Caesarea, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, der nach dem Fall der Stadt zunächst nach Akkon, dann – als auch diese Kreuzfahrerstadt von den Moslems erobert wurde – nach Tripolis geflohen war, stellte zwar das offizielle Oberhaupt der Christen im Heiligen Land dar. Aber Curd empfand seit der Schlacht von Hattin nichts als Verachtung für den habgierigen Erzbischof von Caesarea. Während all die anderen in die folgenschwere Schlacht gezogen waren, hatte Heraclius sich aufgrund eines verdorbenen Magens entschuldigen und vom Bischof von Akkon vertreten lassen. »Was will der Patriarch denn ausgerechnet von mir?«, fragte er mit nur schlecht verhohlenem Unwillen. »Wisst Ihr«, der Geistliche wies mit dem Kopf in Richtung Zitadelle, deren Türme sich wie warnende Finger in Curds Rücken erhoben, »Dem Patriarchen ist die unglaubliche Geschichte Eurer Begnadigung zu Ohren gekommen.« »Na wunderbar!«, schnaubte Curd. »Und was schließt er daraus?« Der Mönch zuckte die Schultern. »Nichts Besonderes. Nur, dass Ihr wohl Eindruck auf den Sultan
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