Schwerter-Zylus 08 - Ritter und Knappe des Schwerts
ihrem eigenen, langen, vom Mond geworfenen Schatten nach, der sich in Richtung der flachen Monduhr erstreckte. Oben am Himmel waren die helleren unter den Sternen noch zu erkennen, wenn auch die Mondherrin sie überstrahlte. Im Südosten waren die Sterne von einer Wolkenbank verdeckt.
Finger beobachtete, wie eine schmale, einzelne Wolke sich von der Bank löste und auf sie zukam. Sie trieb aus dem Nachthimmel nach unten und bewegte sich dabei ein wenig schneller als die warme Brise, die ihre Wolkenfreundinnen vorantrieb und sie selbst sanft streichelte. Das Licht des untergehenden Mondes glänzte hell auf dem schwanenhaft runden Bug und den glatten Seitenwänden – denn was da kam, sah wirklich mehr wie ein zierliches Schiff der Lüfte aus, als es von irgendeiner regentragenden Dunstwolke zu erwarten war. So überlief ein spinnwebartiger Schauder von Erstaunen und hauchzarter Furcht Fingers rosige Haut unter dem gegürteten Umhang, und sie duckte sich ein wenig und verlangsamte ihren Schritt.
Nun näherte sie sich der Monduhr und ging auf der Südseite dicht an ihr vorbei. Wo sie nicht von dem gewölbten Mondzeiger beschattet war, wimmelte das mondbleiche Rund von Runen der Reifinsel und halb vertrauten Symbolen.
Jenseits der Scheibe, kaum einen Speerwurf weit entfernt, senkte sich die unheimliche Schiffswolke, die sich in Gegenrichtung des Mädchens bewegte, zu Boden und landete.
Im gleichen Augenblick, fast wie der Bestandteil ein und derselben Bewegung, breitete Finger Fafhrds Bademantel auf dem feuchten Gras vor sich aus und ließ sich behutsam darauf nieder, so daß sie hinter der flachen Wölbung der Monduhr verborgen lag. Sie verhielt sich still und betrachtete aufmerksam den bleichen Rumpf der sonderbaren Wolke.
Der letzte glänzende Spalt des Satyrmonds verschwand hinter den Gipfeln im Innern der Reifinsel. Von der anderen Seite des Himmels breitete sich die Morgendämmerung aus.
Aus einer Richtung wie mitten aus dem Wolkenschiff erklangen die klagenden Töne einer Flöte und einer kleinen Trommel, die einen Begräbnismarsch spielten.
Gleichzeitig und lautlos wurde aus dem Innern der Wolke eine leichte Landungsbrücke ausgeworfen, die nach einem Drittel der Entfernung zu Finger landete, gerade so breit, daß zwei Menschen nebeneinander darauf gehen konnten.
Diese Landungsbrücke schritt langsam und ernst, während die Morgendämmerung heller wurde und die Musik lauter, eine kleinen Prozession hinunter, angeführt von zwei zierlichen Mädchen in engsitzenden, schwarzen Anzügen wie zwei Pagen, die die Flöte und die kleine Trommel trugen und ihnen die klagenden Klänge entlockten.
Hinter diesen traten mit gemessener Würde Seite an Seite sechs schlanke Frauen in den schwarzen Kapuzen und formbetonenden Mänteln der Nonnen von Lankhmar auf, in deren Kleiderschlitzen die Pastellfarben von jeweils violetter, blauer, grüner, gelber, orangefarbener und roter Unterkleidung zu sehen waren.
Auf den Schultern trugen sie mühelos, doch äußerst behutsam eine schwarz verhüllte, breitschultrige, schmalhüftige, hochgewachsene Männergestalt.
Den Abschluß des Zuges bildete eine schlanke, große, schwarz gekleidete Frauengestalt mit dem randlos konischen Hut und Schleier einer Priesterin der Götter von Lankhmar. Sie trug einen langen Stab mit einem kleinen leuchtenden Pentagramm an der Spitze, mit dem sie eine endlose Folge von Hieroglyphen ins Zwielicht der Luft schrieb.
Welcher Sprache sie angehörten, konnte Finger, die das sonderbare Begräbnis von ihrem Versteck aus beobachtete, nicht sagen.
Als die Prozession auf der Wiese angelangt war, wandte sie sich im Bogen nach Westen. Sobald die Wende vollständig vollzogen war, hob die Priesterinnengestalt ihren Stab mit befehlerischer Geste, was auch den schwach leuchtenden Stern an seiner Spitze zur Ruhe brachte. Sofort brachen die Mädchenpagen ihr Spiel ab, die Nonnen ihr tänzelndes Schreiten, und Finger fühlte sich von einer Lähmung ergriffen, die sie sprechunfähig machte und jeden einzelnen Muskel erstarren ließ, außer den Augenmuskeln, mit denen sie die Richtung ihres Blicks bestimmte.
In einer gemeinsamen Bewegung hoben die Nonnen die Leiche von ihren Schultern und nach oben empor, senkten sie dann beängstigend schnell ins Gras und zogen das leere Leichentuch hoch. Die Stelle, wo sie die Leiche hingelegt hatten, befand sich gerade außerhalb von Fingers Blickfeld, doch daran konnte das Mädchen nichts ändern; ihr wurde nur kalt und sie
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