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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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der Hand für den Fotografen posierte.
    Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend überprüfte Julia das Fenster zu ihrer Dachterrasse. Das Fenster war geschlossen, und es gab auch keine Spuren, die darauf hindeuteten, dass sich jemand an der Verriegelung zu schaffen gemacht hatte.
    Julia starrte in den blauen Himmel, der sich wolkenlos über der Stadt wölbte. Nur in der Ferne über den Bergen lag ein Dunstschleier.
    Wer immer hier gewesen war, musste durch die Tür gekommen sein. Und zwar mit dem Schlüssel, den sie für Marie bereitgelegt hatte und der am selben Tag noch verschwunden war, als die Gärtner den Hof umgestaltet hatten.
    Damit fiel ihr Verdacht zwangsläufig auf den Country-Fan mit dem Tattoo am Hals, der sie in der Disko angebaggert hatte. Gleich darauf schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Tatsächlich hatte sie bisher nicht weiter darüber nachgedacht, dass Mikke so unerwartet zur Stelle gewesen war, um sie vor der dümmlichen Anmache zu retten. Aber was, wenn das Ganze gar kein Zufall gewesen war? Wenn Mikke und der Typ sich in Wirklichkeit kannten? Und irgendwo in ihrem Hinterkopf gab es da noch eine Szene, die sie erfolgreich verdrängt hatte und die ihr erst jetzt wieder einfiel. Als Mikke sie nachts nach Hause begleitet hatte, da hatte er etwas über die Hollywoodschaukel im Hof gesagt, sie hatte für einen kurzen Moment den Verdacht gehabt, dass er den Hof kennen würde. Und wenn es wirklich so war? Mikke kannte den Cowboy, der Cowboy hatte ihm den Schlüssel gegeben, Mikke war derjenige, der jetzt in ihrer Wohnung gewesen war! Und dann war da auch noch der Verband an seinem Handgelenk, weil er sich angeblich beim Boxenschleppen im Tonstudio eine Sehne gezerrt hatte – und Merette hatte erzählt, dass ihr Patient ein Tattoo auf dem Handgelenk hatte …
    »Hör auf!«, sagte Julia laut in ihr Zimmer hinein. »Du spinnst doch völlig, was soll das?«
    Gleich darauf merkte sie, wie sie sich wieder über Merette ärgerte. Ihre Mutter hatte sie mit ihrer Angst tatsächlich so verrückt gemacht, dass sie jetzt schon selber Gespenster sah!
    Aber Mikke war nicht der Psychopath, der Merette mit seinen angeblichen Bekenntnissen vollgelabert hatte. Allerdings war er auch nicht nur einfach der gutaussehendeund ein bisschen geheimnisvolle, aber ansonsten nette und unkomplizierte Typ, als den Julia ihn gerne gesehen hätte. Seine Furcht vor ihrer Mutter war mehr als merkwürdig gewesen, daran änderte auch die Nachricht nichts, die er ihr dagelassen hatte. Und natürlich hatte er sich nicht wieder gemeldet!
    Eher durch Zufall fiel ihr Blick auf den Papierkorb neben ihrem Schreibtisch. Aus einem spontanen Gedanken heraus bückte sie sich und suchte nach dem Zettel mit der Handynummer unter Mikkes Nachricht. Aber auch als sie den Papierkorb schließlich umdrehte und der Inhalt verstreut vor ihr lag, blieb der Zettel verschwunden.
    Sie zweifelte einen Moment an ihrer Erinnerung, während sie hektisch ihre Jeanstaschen durchsuchte, aber nein, sie war sich sicher – sie hatte den Zettel zerknüllt und in den Papierkorb geworfen. Und jetzt war er weg. Doch wer außer Mikke selbst sollte irgendein Interesse daran haben, den Zettel verschwinden zu lassen?
    Julia merkte, wie ihr plötzlich übel wurde. Eigentlich war sie bereits gestern fest entschlossen gewesen, Mikke so schnell wie möglich zu vergessen. Leider war das nicht so einfach, nicht nur, dass sie in der letzten Nacht prompt wieder von ihm geträumt hatte, sondern auch heute Vormittag war er ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Natürlich nicht! Schließlich hatte sie sich in der Apotheke die »Pille danach« holen müssen. Und in der Uni hatte sie sich dann mehrmals dabei ertappt, wie sie seinen Namen in verschiedenen Graffito-Versionen auf ihren Notizblock kritzelte, während die anderen darüber diskutierten, auf welche Weise sie in der Öffentlichkeit Werbung für ihr Kunstprojekt machen könnten.
    Später im Supermarkt hatte sie sogar allen Ernstes noch überlegt, welche Sorte Bier sie einkaufen sollte, falls Mikke am Abend vorbeikommen würde. Sie selbst trank kein Bier.
    Aber in der Zeit, die sie in der Uni und im Supermarkt verbracht hatte, war jemand in ihrer Wohnung gewesen. Und jetzt deutete alles darauf hin, dass es tatsächlich Mikke gewesen war. Aber Julia wollte es immer noch nicht wahrhaben, es konnte nicht sein, dachte sie immer und immer wieder, es musste irgendeine andere Erklärung

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