Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
Kratzer abbekommen hatte. Der Wagen war unter unserer Kastanie geparkt.
    Kribbelnde Wärme durchwogte meine Magengegend, als mir bewusst wurde, dass der Unbekannte wegen meines Gesichtes zuerst die Rettung rufen wollte, es dann aber selbst verarztete. Er machte mir sogar Komplimente: „Schönheit muss leiden“, sagte er, als er den Glassplitter entfernte. Er schickte auch Marie weg. Er befahl ihr, Verbandszeug für mich zu holen. Ich konnte mich kaum rühren. Seine Hand glitt an meine ramponierte Stirn und die Fingerkuppen schoben die Fransen zur Seite. Dann tasteten die großen Hände meine Extremitäten ab und kletterten Wirbel für Wirbel vom Nacken zum Hintern hinab. Er wollte sich vergewissern, dass ich unversehrt war. Ich fühlte mich in seinen Händen nicht dick. Mein Herz pochte, das Blut hämmerte in der Halsschlagader. Er berührte meine Hüften und prüfte die Beckenknochen, im nächsten unbeobachteten Augenblick testete ich die Festigkeit meiner Pobacken selber und zwickte mich schnell. Ich fühlte mich hingezogen zu diesem Mann und richtete mich mit seiner Hilfe auf. Dann kam Marie daher. Sie war eifersüchtig und wurde wütend, als sie mich so an seine Schulter gelehnt sitzen sah. Sie behauptete, dass sie kein Verbandszeug finden konnte, warf ein schmutziges Geschirrtuch in meinen Schoß und ging dann zum Telefon. Vater war dran.
    Der Unbekannte legte seine Hand an meine Unterlippe und zwickte sie zusammen, um einen weiteren Splitter aus dem Wulst zu ziehen. Er tastete zärtlich die Halsschlagader ab. Seine Fingerkuppen trommelten leise. Meinen Wunsch nach einem Kuss vertuschte ich mit einem hingebungsvollen Seufzer, legte den Kopf zurück und gab den Hals frei, als Einladung zur weiteren Behandlung. „Bis zum Heiraten wird alles wieder gut“, sagte er. Da zeigte ich ihm meine Beißerchen als Zeichen meines gelächelten Ja-Wortes.
    Er wandte unbeeindruckt den Kopf zur Seite und fragte Marie, die beim Telefon stand und uns argwöhnisch beobachtete, ob bei ihr alles in Ordnung sei.
    „Klar“, sagte sie frech und in ihrer schnoddrigen Art. „Ich hab Glück und heiße Marie.“
    „Das ist ein schöner Zufall“, sagte er. Sein Diktum umwölkte die heiteren Worte zur dunklen Vorahnung.
    Französische Kriminalfilme zeichnen sich durch ihren speziellen Ton aus. Schritte klingen immer trocken, egal ob sie über Kies oder Asphalt oder Holz gehen, selbst wenn sie durch Wasser schreiten, klirrt es trocken in den Ohren. Ich erkenne dasselbe Geräusch beim Reiben eines staubtrockenen Frotteehandtuches, oder wenn man mit den Fingerspitzen über Bartstoppeln streicht. Vermutlich habe ich deshalb die Anspannung gegenüber virilen Männern zu ertragen, weil ich Gefahr wittere. So ein Mann müsste sich zweimal täglich rasieren, damit ich seine Berührung zuließe. Und dieser Mann tat es. Paul war anscheinend der Auslöser, der Todesstachel unseres Bundes. Er hatte nicht nur meine Sehnsucht geweckt, sondern auch meinen Hass.
    Vater hat uns immer wissen lassen, dass nichts schlimmer sei für eine werdende Frau, als vergewaltigt zu werden, und dass schon eine Vergewaltigung sei, wenn etwas im Bett passiere, was man nicht mit sich geschehen lassen wolle. Er warnte uns als seine unschuldigen Mädchen vor Verführern.
    Je ängstlicher ich aber war um Marie, desto mutiger wurde sie. Ich sah meine Aufgabe darin, zu ihrem Schatten heranzureifen, sie zu begleiten, wohin sie auch ging. Bis sie eines Tages den richtigen Mann finden würde, der meine Rolle übernehmen und ihre Triebe zähmen könnte. Und nun hatte sich das Blatt gewendet, ich war ihr milde gestimmt, denn ich hatte endlich einen Verehrer für mich gefunden.
    Ich streunte durch das Dorf, durch die Gassen zog der Wind. Erfahrungen ließen sich sammeln und ich war alt genug, um meine Unschuld zu verlieren.
    Das Van Dam war verrucht. Das Lokal befand sich im Niemandsland zwischen zwei Ortschaften, in der Tiefe eines stillgelegten Stollens. Die Tore blinkten versuchend hinter dem Schleier der Weiden. Die Türhüter allerdings galt es zu überwinden. Ich hatte Glück, denn unser Nachbar spielte den Cerberus, und ein verführerisches „Hallo“ schläferte ihn gleichsam ein. Er gab mir den Weg frei.
    Je näher ich den metallenen Türen kam, umso stärker verzog die Spiegelung meine Gestalt, bis ich gerundet war wie Marie. Ich ging an die Bar und bestellte mir Soda. Robert, der Nachbarsjunge, folgte mir und brachte mir einen Whiskey. Ich dankte ihm. Ich hätte es

Weitere Kostenlose Bücher