Schwestern der Angst - Roman
die Arme. Er rauchte. Die Zigaretten glommen wie die Augen des Teufels. Er schien zu wissen, dass ich mein Paradies verloren hatte, weil meine Schwester drin eingezogen war. Er sog den Qualm ein. Zu lange war ich auf mütterliche Funktionen reduziert gewesen. Das wäre nun nicht mehr meine Aufgabe.
Robert war schlank, groß, sprach deutsch und ganz seltene Sprachen. Er hielt sich für einen Privatgelehrten. Er zog mich Marie vor, denn Marie redete Dialekt und nicht Hochdeutsch, was ich zu beherrschen lernte. Es machte mich traurig, denn ich war allein mit meiner präzisen Sprache. Ich beherrschte auch Fremdsprachen. Mutter war das Grundvokabel meiner Fremdsprache, ich hatte mir sagen lassen, dass ich sie als unerfüllbare Sehnsucht lebte. Das sei mein Stil.
Robert hatte mich damals im Van Dam beobachtet, als ich auf die Herrentoilette gegangen war. Er hatte versucht mich zurückrufen. Er hatte vor der Türe gestanden und wollte niemanden hineinlassen. Doch Paul hatte ihn grob zur Seite geschoben. Robert war zerknirscht gewesen, hatte Stellung gehalten vor der Tür. Er hatte meine Beschämung spüren können, als ich herausgetreten war und meinen Irrtum entdeckte. Da war er aus Mitleid geflüchtet.
Ich schwieg, zog die Beine an und legte die Arme um die Knie, schloss die Augen, öffnete sie wieder und konnte nicht umhin, als die Landschaft und die Hügel der griechischen Insel zu imaginieren, um Robert auszublenden. Mir war seltsam zumute. Ich legte mich auf den Rücken und wollte mich treiben lassen. Was würde sich unsere Mutter denken, lebte sie noch, dachte ich. Ich blinzelte. Robert saß neben mir. Er redete immer noch und köderte mich mit seinen Worten, die ich schluckte samt den Widerhaken des eingefleischten Hasses auf meine Schwester. Hätte ich meine Gefühle abkühlen können, wäre ich frei von Schuld geworden. Doch war das Gewissen in mir, das mir Verantwortung und Angst vor Bestrafung einredete. Diese Stimmen wogen schwerer als die Lust auf Befreiung. Ich hing an Roberts Angel, weil durch ihn die Verlustschmerzen aufhörten, an mir zu zerren. Robert lebte meine Wut und ermöglichte mir, ein normales Leben als erwachsene Frau zu führen. Roberts Atem war heiß und zu weiteren Sündenfällen verleitend. Robert fühlte sich bei mir wohl, weil ich Sauberkeit lebte, und zwar im moralischen Sinne.
Ich war aus dem Spa geflüchtet, hatte Ruhe gesucht und war nach Hause gekommen. Der Blick auf den Boden bestätigte mir, dass sich der Mann schon wieder als Hausfrau betätigt hatte. Er buk Lebkuchen, anstatt richtige Arbeit zu suchen. Sonst saß er gern am Computer, und tagsüber lag er gern auf dem Sofa. Am Abend berichtete er, was er gelesen hatte, dann ging er als Kellner in eine Bar aushelfen. Oft saß er mir schmalschultrig gegenüber, sein Leid über seine Geldprobleme und Unterhaltszahlungen an seine ungewollten Kinder mit fremden Frauen klagend. Ich war nicht geizig, ich half ihm, wo ich konnte, bis auf dieses eine Mal, als er mich beraubte.
Das Vorzimmer roch nach Ingwer, Zimt, Nelke. Robert besaß einen guten Geschmack und legte Wert auf Ordnung schon in der Garderobe. Er nestelte an mir rum, wollte mir die Handtasche abnehmen, verlangte, dass ich den Mantel ablegte und die Schuhe auszog, damit ich keine Keime von draußen hereinbrachte.
„Lass meine Handtasche in Ruhe“, fauchte ich ihn an.
Robert hob das Kinn und zuckte beleidigt mit der Unterlippe. Plötzlich hasste ich ihn für sein Kinn, seine zuckende Unterlippe, sein angegrautes Haar. Ein Kerzlein brannte und ein Lebkuchenherz lag auf der Kücheninsel neben dem Herd. Ich hatte Geburtstag, aber keine Lust auf diesen Hüttenzauber. Ich blies die Kerze aus.
Ein Knall zerfetzte die schon entzauberte Küchenidylle. Robert hielt eine Flasche Champagner in der Hand. Diesen Saft konnte er sich nicht leisten. Woher hat er ihn? Aus dem Kühlschrank. Beides gehörte mir. Der Champagner und der Kühlschrank. Ich schwieg. Das einzige, was er sich nach seinen kaputten Beziehungen leisten konnte, war eine Lebensgefährtin, in deren Wohnung er sich wohlfühlte.
„Du bist meine Luxusfrau“, sagte er ganz verschmitzt mit seinen müden Augen. Den Luxus konnte er sich nicht leisten.
„Du könntest dich wenigstens bedanken, siehst du nicht, was ich für dich gemacht habe?“, sagte er.
Ich nahm ihm den Champagner aus der Hand und fragte, ob er wisse, was er da entkorkt habe. Robert hatte seine Brille nicht auf. Er hob die Flasche hoch und das Etikett
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