Schwestern der Angst - Roman
eine die Peristaltik anregende Kraft durchfuhr mein Gedärm und aus dem Hinterkopf flüsterte eine Stimme: „Lass los, kleine Renate, mach dich nicht steif, du brauchst keine Angst zu haben. Es ist nur zu deinem Besten. Komm her, lass rutschen über den Schenkel.“
„Miststück!“, entfuhr es meiner Kehle, als die Masseuse meine Schenkel umklammerte und sich hochknetete. Heißes Wasser spürte ich an meinen Schenkelinnenflächen, Seife und Tücher rubbelten an meinen Pobacken. Die rauchige Stimme, ja, es war die Stimme Pauls, die ich plötzlich hörte, was die Masseuse nicht beeindruckte, sprach nicht, sie quoll hinter dem Vorhang hervor und verfing sich im Haar der Masseuse, deren Atem die Haut kühlte, wo Wachstücher meine Behaarung ausrissen.
Die Scham über meine Blöße gab mir die Handhabe, die Verstrickung zu verstehen, die mich dazu brachte, fremden Leuten meine behaarten Körperzonen darzubieten, und prägte den Gedanken, dass ich mich eher umbringen würde, als dass Paul mich so sehen dürfte. Schweiß trat aus den Poren und aus der porösen Wand. Eine weibliche Kinderstimme, vielleicht meine, vielleicht Maries, denn die Stimme wuchs Wort für Wort, wurde lauter und eindringlicher und strömte aus der Wand in wellenden Amplituden, umwickelte den Leib, sang.
Ich hatte genug von diesen Einbildungen, ich wollte aufs Klo. Meine Kräfte reichten jedoch bloß dazu, die angewinkelten Arme vom Körper abzufedern und zu tschilpen wie ein Spatz. Da wechselte das Licht die Farbe. Die Textur der Wand warf den Schatten einer Ferse, nicht größer als die Ferse eines Kinderfußes. Das Bein verjüngte sich und Farbschichten sogen es auf. Die Wände wölbten sich und ich lag unter einem Hängebauch zwischen elliptisch geformten Oberschenkeln, sie rückten auf Knien heran. Ein Delphin-Tattoo prangte am Oberarm eines Masseurs. Der Raum verengte sich, nahm mich auf wie Staub. Und Flügel flogen auf und Blätter raschelten, etwas setzte sich auf die Palme vor dem Bett und rief: „Renate, Renate, schläft Marie?“
Ich antwortete Paul auf dem Bett im Hause des Vaters sitzend. „Sie schläft.“
Paul vergewisserte sich und fragte noch einmal: „Schläft die böse Schwester?“
„Sie schläft.“
Und dann kam er zu mir und sagte: „Schläfst du bei mir, Töchterchen?“
Ich nickte und sagte: „Ich wache.“
Paul hatte sich auf mich geworfen. „Möge das Bett Marie und dich verzehren.“
Die Masseure warfen einander zweifelnde Blicke zu, Wimpern, lange Spinnenbeine, reichten ins Haar aus Ginster der ans Bett tretenden Frau.
„Renate, Renate, schläft Marie?“
„Sie schläft.“
„Möge Marie verdorren“, hörte ich Paul sagen.
Ich roch verbrannte Kräuter. Der Rauch biss in die Augen. Die Stimme befahl mir, Marie an zwei Pferde zu binden und die Pferde mit der Peitsche auseinanderzutreiben. Die Frau quetschte die Schultern, presste mich auf den Tisch. Ich kam langsam zu mir. Ein gutes Werk gibt Kraft, ich zog die Beine an, trat die Masseuse von mir, richtete mich auf und setzte die Füße auf den Boden. Ich nahm die Hände hoch und schüttelte die nach mir schnappenden Masseure ab, rubbelte mit dem Handtuch den Film Fett von der Haut. Die Masseuse bekam keinen Ton aus sich heraus. Ich musste raus aus dieser Stimmung.
IV
Nach diesem Albtraum hatte ich Lust auf den nächsten. Einen mir vertrauten. Robert. Unsere Beziehung dauerte schon Jahre. Sie wurde körperlich ausgetragen, im Guten wie im Bösen. Er nahm mich in und auf den Arm, aber er schlug mich nicht. Robert mochte mich süß verpackt in Felle, seidige Kleider, Schmuck, und umgeben von feinen Restaurants. Ich suchte Beruhigung und fand zumindest Ablenkung mit ihm.
Robert war ein notorischer Kritiker. Er beschwerte sich rigoros über das beste Essen in den besten Restaurants und verdarb den Appetit mit dem Ziel, nicht die Zeche bezahlen zu müssen. Robert war schlicht raffiniert und liebte Petersilienschaumsuppe. Ich horchte auf Gefühl und Geschmack. Ein besserer Mann erzeugt eine bessere Frau. Robert war ein guter Mensch. Das war ein Glück für mich.
In Robert war ich nicht verliebt. Er war mein Verehrer, er interessierte sich von Anfang an für mich. Robert war der einzige Mensch auf der Welt, der Marie nicht leiden konnte. Die Kleine war immer um mich herum gewesen. Was immer ich tun mochte, tat auch meine Schwester. Wollte er mit mir spazieren gehen, dann musste auch Marie mit. Entweder beide oder keine.
Robert nahm mich einfach in
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