Schwestern Des Blutes
sein als ein beiläufiger Fick.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Gerüchte darüber hatte ich natürlich gehört, aber sie waren mir stark übertrieben erschienen. Jetzt war ich da nicht mehr so sicher.
Als er zurücktrat, war es, als risse ein Teil von mir mit ab. »Antworte noch nicht gleich. Ich kann warten, und ich werde dich in deiner Entscheidung nicht drängen. Geh und kümmere dich um das, was du zu tun hast, und heute Abend bei Sonnenuntergang treffen wir uns am Haupteingang des Marktplatzes. Dann finden wir den Kerl und bringen ihn zur Strecke.«
Er beugte sich vor, um mich noch einmal zu küssen, doch er hielt inne. Als ich mich ihm entgegenstreckte, schüttelte er den Kopf. »Noch nicht. Denk darüber nach, und überlege es dir gut. Das ist allein deine Entscheidung. Ich will dich, glaube mir. Aber die Einladung muss von dir ausgehen.« Damit wandte er sich ab und schlüpfte zur Tür hinaus.
Zu Hause traf ich auf Delilah und Menolly. Es waren noch ein paar Stunden bis zum Abendessen – Mutters Jahresuhr stand auf dem Kaminsims, und hier in der Anderwelt galt eine andere Zeitmessung, aber wir hatten beide Systeme gelernt und gebrauchten mal dieses, mal jenes.
Wir spazierten die Straße entlang zum Y’Leveshan-See am südöstlichen Stadtrand. Die Feiertage zu Mittwinter und Mittsommer verbrachte man am See. Er war so riesig, dass das andere Ufer in der Ferne verschwamm. Fischerboote sprenkelten die glatte Wasserfläche.
Am Ufer war die Vegetation besonders üppig. Kniehohes, saftiges Gras wuchs überall um den See, und Ahorn, Birken und Trauerweiden, Vogelbeer- und Camazbäume säumten kleine Lichtungen. Die Luft war erfüllt vom Summen der Mücken und Hummeln und von den Stimmen der Vögel, die hier den ganzen Tag über sangen. An den Docks am Hafen herrschte faule Ruhe.
Delilah schwang sich auf den untersten Ast einer nahen Eiche. Sie ließ die Beine baumeln und strich eine Strähne zurück, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. »Ich liebe solche Nachmittage. Hoffentlich findet der YND nicht heraus, dass wir herumfaulenzen.«
»Und wenn schon?«, erwiderte ich. »Das ist mir inzwischen egal. Die pressen uns doch aus wie Zitronen. Wenn sie mich feuern, werde ich dem Dienst nicht nachweinen. Aber, hört mal, ich glaube, ich bin Roche endlich auf der Spur.«
Ich wollte ihnen von Trillian erzählen, aber ich fürchtete, das würde nicht gut ankommen. Schon gar nicht bei Vater, falls er dahinterkam. Vielleicht war es besser, vorerst nichts zu sagen, bis ich mir selbst im Klaren darüber war, wie weit diese Beziehung gehen sollte.
Menolly streckte sich im Gras aus und stützte sich auf die Ellbogen. Sie trug ein weites, durchscheinendes Kleid, und das lange Haar wallte über ihren Rücken. Niemand wusste, woher sie dieses rote Haar geerbt haben konnte. Die kupferfarbenen Locken glänzten in der Sonne, und sie schloss genießerisch die Augen.
»Ich liebe solche Tage«, sagte sie und atmete tief und langsam den Sommer ein. »Es fühlt sich an, als würde die Sonne mir bis in die Knochen sickern.« Seufzend fügte sie hinzu: »Ich habe Order von der Zentrale, die Umgebung der Höhle auszukundschaften. Ein paar Tage kann ich sie mir wohl noch vom Hals halten, vielleicht sogar zwei Wochen. Aber irgendwann werde ich diesen Auftrag erfüllen oder kündigen müssen. Wenn ich mich nur nicht so an den verdammten Dienst gebunden fühlen würde.«
»Du musst dich wirklich bald entscheiden«, sagte ich. »Ich werde heute Abend einer neuen Spur zu Roche nachgehen.«
»Brauchst du Gesellschaft?«, fragte Menolly. »Ich gehe gerne mit.«
»Ich auch«, warf Delilah ein. »Und ich hätte nichts dagegen, mal wieder einen Abend in der Stadt zu verbringen.«
Ich zog mich auf einen flachen Felsen hoch, setzte mich mit untergeschlagenen Beinen darauf und überlegte, wie ich das Angebot ablehnen konnte, ohne die beiden misstrauisch zu machen. »Vielleicht … Aber musst du heute Abend nicht zum Kurs, Menolly?«
Sie ächzte. Menolly besuchte zweimal pro Woche einen Intensivkurs des YND für Akrobaten und Turner. »Ja. Danke, dass du mich daran erinnerst.«
»Und wenigstens eine von uns sollte zu Hause bleiben und mit Vater zu Abend essen. Ihr wisst doch, wie wichtig ihm gemeinsame Mahlzeiten sind.« Ich sah Delilah vielsagend an. Sie verdrehte die Augen gen Himmel, nickte jedoch. »Ich komme schon zurecht. Jahn hilft mir.« Das war zwar eine kleine Lüge, aber irgendwie hatte Jahn mir ja
Weitere Kostenlose Bücher