Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
hier hörte. Und falls der Königin zu Ohren kam, dass man ihre Kompetenz in Frage stellte, waren wir alle schon so gut wie tot – oder wir würden uns wünschen, wir wären es. Es war eine von Lethesanars Spezialitäten, ihre Gefangenen davon zu überzeugen, dass sie tot besser dran wären. Eine Reihe von ihnen wählten regelmäßig diesen Weg – sie bedienten sich jeder nur vorstellbaren Methode, um sich umzubringen, bevor die Königin die nächste Runde unterhaltsamer Veranstaltungen ausrief.
»Du willst also sagen, der AND müsse das allein lösen?«
Trillian nickte knapp. »Ich will sagen, dass der AND tun wird, was er kann, um euch zu helfen, aber möglicherweise nicht mehr lange. Verlass dich nicht allzu sehr auf deine Kollegen von zu Hause, und um aller Götter willen, rechne nicht damit, dass Hof und Krone dir den Rücken decken werden.«
Ich sank in meinem Sessel zusammen und seufzte tief. Meine Familie hatte nie zum inneren Kreis des Hofes gehört. Mutters Anwesenheit allein hatte ausgereicht, um Vater auszuschließen. Als Agenten niederen Standes waren auch meine Schwestern und ich nicht sonderlich gut informiert, was das Verhältnis zwischen Regierung und AND anging.
Auf einmal wünschte ich mir, mein Vater wäre hier. Er wusste irgendetwas, denn sonst hätte er Trillian nicht geschickt. Aber ich wusste auch, dass er selbst entscheiden würde, wann er uns mitteilte, was da lief. Vater war seiner geliebten Garde treu ergeben. Was auch immer vor sich ging, musste sehr schlimm sein, wenn er Trillian gegenüber eingestand, dass seine Botschaften an uns geheim bleiben mussten.
»Was tun wir als Nächstes?«, fragte Morio – da ging die Tür auf, und Delilah rauschte herein. Sie knallte die Tür hinter sich zu, drehte sich dann um und starrte uns alle an.
»Wie ich sehe, haben wir Besuch«, sagte sie und ließ ihren Rucksack auf einen Stuhl fallen.
Ich starrte sie meinerseits an. Irgendetwas war anders, aber ich kam nicht dahinter, was es war. Ihre Wangen waren gerötet, doch da sie gerade erst hereingekommen war, schrieb ich das der Kälte zu. Aber da war etwas. Sie bewegte sich ein wenig anders, und sie klang atemlos.
Plötzlich wusste ich es. Delilah hatte mit Chase geschlafen! Chase, der sich seit Monaten vor der bloßen Vorstellung einer Werkatze gruselte und mich manchmal ein bisschen angebaggert hatte, hatte meine Schwester gevögelt. Ich nahm sie beim Ellbogen. »Komm mit, ich will mit dir reden.«
Trillian stöhnte. »Du willst mich wieder mit diesem Wolfsjungen allein lassen?«
»Fuchs, du Ignorant – ich bin ein Yokai-kitsune, nicht irgendein dahergelaufener Lykanthrop!« Morio knurrte und streckte die Hände aus. Vor meinen Augen verlängerten sich die Fingernägel zu bösartigen Klauen, und seine Augen blitzten gefährlich.
»Aus! Platz und bleib!« Ich ging erneut dazwischen. »Muss ich einen Babysitter rufen, der dafür sorgt, dass ihr beiden euch benehmt?«
Morio starrte mich einen Moment lang mit trotzigem Gesichtsausdruck an, dann zog er seine Klauen wieder ein. »Kein Problem, Camille.«
Trillian wollte sich nicht übertrumpfen lassen und legte sofort nach: »Wir werden ganz brav sein. Schwatzt ihr nur, so lange ihr wollt.«
Delilah starrte die beiden in offensichtlicher Verwirrung an. Ich schob sie in die Küche, wo wir uns neben Maggies Kiste setzten. Delilah streichelte die Kleine einen Moment lang, holte dann tief Luft und sah mir in die Augen.
»Du weißt es, oder? Du merkst es mir an?« Sie zog den Kopf ein.
»Natürlich merke ich das. Ich kann ihn an dir riechen.« Tatsächlich hing ein Hauch von Chases Aftershave noch an ihrer Haut. Ich nahm sie bei den Schultern. »Mir ist nur wichtig, dass du glücklich und unversehrt bist. Er hat dir doch nicht wehgetan, oder?«
Sie machte große Augen. »Mir wehgetan? Nein, ich war es, die ihn aus Versehen gekratzt hat.« Sie wurde ernst, und mir stand plötzlich ein absurdes Bild vor Augen.
»O nein, das hast du nicht... oder doch?« Ich sah schon, worauf das hinauslaufen würde, und ich war nicht sicher, wie mir das gefiel.
Delilah sah mich empört an. »Nein! Jedenfalls nicht, während wir... Aber danach. Ich schätze, die Anspannung war doch ein bisschen viel. Wir haben nur gekuschelt, als ich mich verwandelt habe. Chase hat sich so erschrocken, dass er aus dem Bett gefallen ist«, fügte sie kichernd hinzu.
Ich unterdrückte ein Lachen. Der gute alte Chase hatte wohl nicht geahnt, worauf er sich da eingelassen hatte.
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