Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
zurück und fuhr weiter. »Sagt mal, was passiert denn, wenn wir dieser überdimensionalen Eidechse gegenüberstehen? Wie besiegt man so was?«
Ich stöhnte. Keiner von uns war stark genug, es mit einem Wesen dieser Größenordnung aufzunehmen. »Gar nicht, außer man ist zufällig ein sehr mächtiger Magier oder eine sehr mächtige Hexe. Ich bin nicht annähernd stark genug dafür, selbst wenn meine Kräfte nicht unter diesen Kurzschlüssen leiden würden. Wenn ein Drache dich angreift, kannst du nur um Gnade flehen, davonlaufen, wozu du schneller sein müsstest als er, dich verstecken, bis ihm langweilig wird – das kann Wochen dauern –, oder ihn töten.«
Morio räusperte sich. »Einen Drachen zu töten, bringt Unglück. Seine Verwandten würden wissen, wer das getan hat, und sie würden den Rest ihres Lebens damit zubringen, den Mörder zu jagen. Die einzige Möglichkeit, in einem Stück zu bleiben, wenn man einen Drachen getötet hat, besteht darin, zu verschwinden. Man muss einen neuen Namen annehmen, sich irgendwo verstecken und hoffen, dass einen das Glück nicht verlässt.«
Ich beugte mich vor und spähte um die Kopfstütze herum, um ihn ernst anzusehen. »Das stimmt, vor allem bei den östlichen Drachen. Das ist eine andere Rasse als die westlichen. Ein paar von denen sind gar nicht so übellaunig, aber arrogant sind sie alle.« An Chase gewandt fügte ich hinzu: »Denk daran: Trample nie auf dem Ego eines Drachen herum. Beiß dir auf die Zunge, lass dich von ihm beleidigen, lass ihn sagen, was er will. Fordere ihn bloß nicht heraus, denn das ist der schnellste Weg, eine knusprige Kruste zu bekommen.«
Er warf mir im Rückspiegel einen Blick zu und sah dann Morio an, der nickte. »Verstanden. Ich werde daran denken. Sag mal, meinst du, dass der Drache mit den Dämonen unter einer Decke steckt?«
»Nein«, sagte ich und lehnte mich zurück. »Das bezweifle ich. Drachen fressen Niedere und Mindere Dämonen zum Frühstück. Wenn wir einen auf unsere Seite ziehen könnten, hätten wir kein Problem mehr mit Dämonen, bis wir es mit Schattenschwinge selbst zu tun bekommen, aber ich fürchte, wir haben einem Drachen nicht viel zu bieten. Sie sind von Natur aus gewinnsüchtig, wie Söldner. Man muss sie reich entlohnen, damit sie einem helfen.«
Chase schaltete einen Gang herunter, als wir von der Interstate 405 auf die State Route 167 abfuhren. »Wir halten auf den Nisqually-Eingang zum Nationalpark zu. Irgendwo davor verläuft der Goat Creek, und wir suchen vermutlich eine unbefestigte Straße, die irgendwo ins Gebüsch führt.«
»Hat die Straße keinen Namen?«, fragte Morio.
»Nein. Vielleicht steht ein Briefkasten an der Einfahrt, aber es kann auch sein, dass Mr. Lane sich die Post im nächsten Postamt abholt. Ich konnte nur in Erfahrung bringen, dass die Straße zwischen zwei riesigen Stechpalmen hindurchführt. Die müsste man finden können.«
Ich fischte Jockos Tagebuch aus meiner Umhängetasche und schlug es auf. Delilah beugte sich zu mir herüber, und gemeinsam blätterten wir das Büchlein durch. Die meisten Riesen sprachen einen kehligen Dialekt des Faerie, der Feensprache, und ihre Schrift war eine Art Wiedergabe ihrer Sprechweise. Jocko bildete keine Ausnahme. Die Übersetzung dauerte zwar eine Weile, aber wir konnten die Einträge lesen, wenn wir einige Verben und Substantive vertauschten. Zumindest an den Stellen, wo wir seine Handschrift entziffern konnten.
Die Einträge der ersten paar Monate enthielten das, was man von jemandem erwarten würde, der Welten von zu Hause entfernt war. Jocko war einsam und vermisste die Bergluft, obwohl er froh war, nicht mehr wegen seiner Größe verspottet zu werden. Er vermisste seine Mutter, war aber froh, seinem Vater entronnen zu sein. Offenbar neigte Jocko senior zu Gewalttätigkeiten. Jocko war dem AND gegenüber loyal, bemerkte aber sehr wohl, wie wenig Unterstützung Agenten im Auslandseinsatz zuteil wurde.
Und dann, etwa in der Mitte des Buches, erwähnte er zum ersten Mal Louise.
Sie ist heute wiedergekommen, und ich hab sie nach ihrem
Namen gefragt. Louise. Was für ein seltsamer Name, aber
schön. Sie ist so nett, und sie hat gesagt, dass sie gern mit
Feen rumhängt. Ich habe gesagt: »Ich bin nur ein Riese,
und noch dazu kein richtig guter«, aber sie hat gesagt, ich
wäre süß. Sie will diese Woche mit mir ins Kino gehen.
Ich war noch nie im Kino. Ich habe schon davon gehört,
aber allein wäre ich zu nervös gewesen, um da
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