Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
aber gepfefferte Preise verlangen, wenn sie sich so etwas leisten können.«
Er nickte kaum merklich. »Bei meinem letzten Besuch hatte ich den Eindruck, dass die meisten Patienten aus sehr reichen Familien kommen. Hier regiert das alte Geld, und die Familien, die ihre Problemkinder hier abladen, zahlen gut dafür, dass sich das nicht herumspricht. Es gäbe kaum einen besseren Ort, um ein missratenes Kind oder eine Tante abzuschieben, die einem den Ruf ruiniert oder einen permanent öffentlich in Verlegenheit bringt.«
»Ich glaube, die Anderwelt ist mir lieber«, sagte ich. »Obwohl das Leben bei Hof und Krone auch von Scheinheiligkeit und gesellschaftlichem Druck geprägt ist.«
Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. »Spießer - gefühllose Spießer, die unbedingt ihren Status quo aufrechterhalten wollen. Dazu dient dieses Haus im Grunde. Ich zweifle nicht daran, dass das Personal hochqualifiziert ist, aber ich habe das Gefühl, dass sie mehr Wert auf Konformität als auf Wohl und Glück ihrer Patienten legen.«
Ich sah mich um. In der Lobby gab es mehrere Aufenthaltsbereiche. Manche Sitzgruppen waren von Patienten belegt, die fernsahen oder Handarbeiten machten.
Manche starrten nur ins Leere. Eine geschwungene Treppe führte nach oben, und als ich zur prächtigen Decke hinaufschaute, erhaschte ich einen Blick auf den Absatz im ersten Stock, wo anscheinend Büroräume lagen.
Von der Lobby aus war nicht zu erkennen, wo die Patienten untergebracht waren. Die Vermutung lag nahe, dass der Wohntrakt sich im hinteren Teil des Gebäudes befand, damit die Gäste die Patienten nicht unmittelbar sehen konnten. Wenn mal einer durchdrehte, störte er auf diese Weise wenigstens nicht die Besucher oder die friedvolle, gediegene Fassade, die sie der ganzen Anstalt verpasst hatten.
Am Empfangstresen mit einer rötlichen Marmorplatte lag neben dem Buch, in das Besucher sich eintragen mussten, ein silberner Kugelschreiber an der Kette. Das Einzige, was mich daran erinnerte, dass wir nicht im Hilton eincheckten, war das kugelsichere Glas um den Schalter. Als wir näher kamen, sprang die in Rosa gekleidete Empfangsdame auf, kam mit strahlendem Lächeln aus ihrem Glaskasten und erwartete uns am Tresen. »Ich bin Schwester Richards. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Benjamin Welter besuchen. Ich bin Camille ... Welter, und das ist mein Verlobter, Morio Kuroyama.« Ich setzte eine leicht gehetzte Miene auf, die deutlich sagte: Ich bin wichtig. Nerv mich nicht mit deinen Fragen, stell mich sofort durch.
Wie ich erwartet hatte, fragte sie höflich: »Wenn Sie sich bitte ausweisen würden?«
Ich räusperte mich und blickte mich rasch um. Niemand achtete auf uns. Ich nahm meine Sonnenbrille ab, ließ meine Masken fallen und gestattete meinem Glamour, mit aller Macht hervorzuleuchten.
Ich beugte mich zu ihr vor und sagte: »Sie brauchen meinen Ausweis nicht zu sehen.
Sie wissen, dass ich Camille Welter bin. Und Sie wissen, dass ich ungefährlich bin und niemandem hier etwas antun werde. Nicht wahr?«
Entweder bemühte Schwester Richards nicht oft ihren eigenen Verstand, oder sie war ohnehin nicht die Hellste, denn ihr Lächeln wackelte nur eine Sekunde lang, um dann doppelt so breit wieder zu erstrahlen. »Natürlich, Miss Welter. Sie sind harmlos und werden niemandem etwas antun. Es freut mich, Sie und Ihren Verlobten kennenzulernen. Ich gratuliere übrigens zur Verlobung. Wenn Sie sich hier eintragen würden, und dann bringe ich Sie gleich zu Benjamin.«
Ich zwinkerte ihr zu, und sie kicherte. Während ich mich eintrug und den Stift an Morio weiterreichte, dachte ich darüber nach, wie leicht manche Leute doch zu betören waren. Den stärksten Widerstand leisteten gar nicht die Misstrauischen, obwohl man das logischerweise erwarten würde. Nein, ich hatte festgestellt, dass die kühlen, distanzierten Typen, die besonders intelligent wirkten, am schwersten zu betören waren.
Nachdem auch sie im Gästebuch unterschrieben hatte, rief sie eine ihrer Assistentinnen herbei, die den Empfang übernahm, und führte uns durch die Eingangshalle. Dann bog sie nach links ab. »Er wohnt in unserem Flügel für die längerfristige Betreuung. Hier entlang, bitte.«
Wir verließen das Gebäude durch eine rückwärtige Tür, die gesichert und von zwei stämmigen Wachleuten bemannt war, die allerdings freundlich lächelten und unseligerweise ebenfalls die allgegenwärtige rosa Uniform trugen. Die Empfangsdame führte uns über einen
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