Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
überdachten Innenhof, auf dem schmiedeeiserne Bänke zum Verweilen in der frischen Luft einluden, selbst wenn es nieselte. Ich hielt mich von den Bänken fern. Sie hatten zwar hölzerne Sitzflächen, aber ein kleiner Fehler, und ich würde eine hässliche Brandwunde davontragen.
Das Ziegelpflaster war in verschiedenen Mustern verlegt; die meisten erkannte ich als keltische Knoten, und hier und da lockerte ein Blumenbeet das ansonsten von Terrakotta geprägte Ambiente auf. Narzissen und Krokusse standen zu dieser Jahreszeit auf dem Programm, und dazu Primeln und Stiefmütterchen, die offensichtlich erst vor kurzem in die frisch geharkte Erde gepflanzt worden waren. Auf der anderen Seite des Innenhofs erhob sich ein fünfstöckiges Gebäude, von dem aus ein weiterer überdachter Freigang zu einem zweistöckigen Wohntrakt führte.
»Benjamin ist ja so ein angenehmer Patient«, erzählte Schwester Richards. »Er macht nie irgendjemandem Arger, außer wenn man versucht, direkt mit ihm zu sprechen. Da Sie Ihren Cousin schon länger nicht gesehen haben, muss ich Sie warnen. Wenn Sie etwas zur Wand sagen oder zu irgendeinem Gegenstand, zum Beispiel ›Für Benjamin ist es jetzt Zeit zum Abendessen‹ dann hört er Ihnen zu und folgt Ihnen zum Speisesaal. Aber wenn Sie ihn direkt ansehen und ihm das ins Gesicht sagen, bekommt er meistens einen Schreikrampf. Also versuchen Sie bitte, ihn nie direkt anzusprechen, solange Sie hier sind. Es macht ihm nichts aus, wenn Leute in seiner Nähe sitzen, solange sie ihn nicht berühren.«
Ich nickte und prägte mir alles ein. Auch in der Anderwelt mangelte es nicht an geistig labilen Geschöpfen. Den Göttern sei Dank für unsere Schamanen, die viele der leichten bis mittelschweren Erkrankungen durch Seelenbereinigung und andere Techniken lindern oder heilen konnten. Die wirklich aussichtslosen Fälle jedoch durften normalerweise einfach frei herumlaufen, wie es ihnen gefiel, solange sie niemandem schadeten.
Es gab viele Dörfer, in denen alle auf diese Kranken aufpassten, wo sie zu essen bekamen, wenn sie Hunger hatten, und bei schlechtem Wetter in Scheunen und Schuppen untergebracht wurden.
Falls sie je zur Gefahr für sich selbst wurden, stellte man sie unter Aufsicht. Wurden sie zur Gefahr für andere, musste man sie erlösen.
»Da ist er - heute ist er offenbar gern im Freien«, sagte die Schwester und deutete auf einen Mann, der im Gras saß und zum Himmel hochstarrte. Er war allein, doch mir fielen zwei Wärter auf, die das Gelände in der Nähe eng überwachten. Benjamin, der eine normale blaue Jeans trug, wirkte vollkommen entspannt und zufrieden.
Als wir uns dem jungen Mann näherten, begann Schwester Richards so laut zu reden, dass er es hören konnte. »Nein, so etwas, ist das nicht nett? Benjamins Cousine kommt ihn besuchen. Vielleicht möchte sie sich da drüben unter die Eiche setzen - da ist eine kleine Bank - und die frische Luft genießen.« Sie nickte mir vielsagend zu, und ich ging zu der Bank und biss die Zähne zusammen. Ich würde sehr aufpassen müssen, nicht mit der nackten Haut an die Armlehnen oder die Nieten auf den Holzlatten des Sitzes zu geraten.
Als ich mich vorsichtig hinsetzte, warf ich Benjamin einen raschen Blick zu und schaute gleich wieder weg. Er beobachtete mich mit einem seltsamen Funkeln in den Augen. Als er Morio sah, blickte er verwirrt drein, dann starrte er ihn mit offenem Mund an. Die Schwester entschuldigte sich. Sie blieb bei einem der Wärter stehen, zeigte in unsere Richtung und kehrte dann zum Hauptgebäude zurück. Der Wärter behielt uns fortan im Auge, kam aber nicht näher.
Plötzlich sprach Benjamin, so leise, dass ich ihn gar nicht gehört hätte, wenn ich ein VBM gewesen wäre. »Der Fuchs sieht heute anders aus. Und das ist wohl seine Freundin.«
Morio fuhr zusammen. »Benjamin weiß, wer ich bin?«
»Natürlich«, sagte Benjamin. »Ich kann Gestaltwandler immer erkennen, wenn sie sich als Menschen verkleiden. Aber ich verstehe nicht, warum sie sich als meine Cousine ausgibt und wer sie ist. Sie ist keine Gestaltwandlerin, aber sie ist auch keine normale Frau.«
Ich warf Morio einen kurzen Blick zu, und er nickte stumm. »Ich heiße Camille, und ich muss mit Benjamin über die Höhle und den Edelstein sprechen, von dem er dem Fuchs erzählt hat. Viele Menschenleben hängen davon ab, und Benjamin könnte uns eine große Hilfe sein. Wir versuchen, die Welt zu retten ...«
Ich hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen,
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