Schwimmen in der Nacht
zur nächsten und führte sie zurück an die Tische. Alle standen rings herum und bewunderten die Erdbeertorte. «Irene ist die Perle in meiner Muschel», sagte Vater und rief dann: «Irene! Wo bist du?»
Mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht kam Mutter aus der Küche gehuscht, ihre Wangen glühten von der Hitze und vom Wein, den sie den ganzen Abend über getrunken hatte. Sie stand neben Vater, und er legte den Arm um sie. «Ach, die Unbekümmertheit der Zeiten. Die Ewigkeit von Familie und Freunden.»
Nach der Torte drehten Tante Annette und Onkel Max ihre Abschiedsrunde. Sie waren die ersten, die gingen. Peter schmuggelte ein Bier aus der Kühlbox und brachte es heimlich auf sein Zimmer. Um Mitternacht verkündete Vater allen: «Der Garten hinterm Haus. Wir müssen uns den Vollmond ansehen.» Ein paar der Frauen sagten, er sei verrückt, lachten aber und folgten ihm nach drauÃen, einschlieÃlich Miss Delgarno.
Die übrigen Erwachsenen sahen überhitzt aus, mit roten Gesichtern, benebelt. Auch andere Paare fragten nach ihren Handtaschen, und es lichtete sich im Zimmer. Dora bestand darauf, dass ich nach oben ins Bett gehen sollte. Ich schaute bei Robert vorbei. Er schlief mit weit aufgerissenem Mund, das Licht war noch an. Mehrere aufgeschlagene Bücher lagen wie ein aufmerksames Publikum aufgefächert um ihn herum. In meinem Zimmer war die Luft merklich kühler und ohrenbetäubend in ihrer Stille. Von meinem Bett aus schaute ich raus auf den runden Mond und sah Vater und Miss Delgarno, die sich allein im Garten unterhielten, rauchten und in Richtung Himmel zeigten. Miss Delgarno schüttelte immer wieder ihre schulterlangen Haare und strich sie sich hinter die Ohren, dann schlang sie die Arme um ihren Oberkörper. Mir gefiel nicht, wie sie Vater bewunderte. Er aber aalte sich darin. Ich konnte sehen, wie der aufgedunseneZigarettenqualm, den er ausstieÃ, im Licht der Strahler waberte.
Mutter kam in den Garten und grüÃte Miss Delgarno, schwankte merkwürdig über den Rasen und stellte sich zwischen die beiden. Vater legte den Arm um sie und gab ihr einen Kuss, dann führte er sie zurück ins Haus. Jemand schaltete die Strahler aus, und der Garten hinterm Haus lag still und weich im Mondlicht. Ich hörte, wie die Gäste ihre Autos anlieÃen und in ihnen leise die StraÃe hinunter rauschten. Auf einmal tauchte Miss Delgarno als ein Schatten wieder in der Dunkelheit auf, bewegte sich auf Mutters Garten zu, vorbei an der groÃen Eiche und den zwei kleineren Kirschbäumen und hinein in den Wald dahinter. Jetzt trug sie eine lange, umhangähnliche Jacke. Shell, der bis auf das winzige Glühen einer Zigarette, das wie ein Glühwürmchen Zickzackbewegungen machte, fast unsichtbar war, folgte ihr. Er lief über den Rasen auf den Wald zu. Ich sah, wie er seinen langen Arm um ihre Schultern drapierte, bevor sie zwischen den Bäumen verschwanden.
6. Kapitel
Die After-Party
In den dunklen Stunden nach der Dinnerparty meiner Eltern entdeckte ein Polizist meine Mutter zusammengesackt über dem Lenkrad am Rand des Lake Gooseneck. Das Auto war über den niedrig aufgeschütteten Uferdamm gerast und in das seichte Wasser gefahren. Beim Aufprall hatte sie sich die Nase gebrochen und die Stirn geprellt. Rettungskräfte befreiten sie aus dem Fahrersitz und brachten sie vorsorglich in das örtliche Krankenhaus.
«Wirklich groÃes Glück gehabt», sagte Vater und schüttelte den Kopf.
Er stand zerknittert an meinem Bett. Die frühen Sonnenstrahlen fielen auf das Fensterbrett hinter ihm. Seine Haare waren zerzaust, das Hemd falsch geknöpft.
«Ich habe das Auto gar nicht wegfahren hören», sagte ich. «Wo wollte sie hin?»
«Zum See. Sie wollte zum See. Du kennst deine Mutter. Voller Flausen. Ein wundervoller Abend. Die Party. Sie ist losgefahren, wollte frischen Wind um die Nase, diese Schmerzen, die sie bekommt, das war ⦠Dabei wird doch alles gut. Sie hat diese Tabletten genommen. Die Ãrzte erzählen einem ja nichts von den Nebenwirkungen.» Er gestikulierte wild, um zu zeigen, was er damit meinte, und drehte sich dann wieder zur Tür. Mehr als das wollte er mir nicht erzählen.
Am Lake Gooseneck bin ich an Wintertagen Schlittschuh gelaufen. An einer Seite verengte sich der See, wurde schmal und lang, und wir fuhren auf der anderen, runden Seite, wo er sich zu einem vollen
Weitere Kostenlose Bücher