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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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versammelte, saß er abseits und beteiligte sich nicht am Gespräch. In der gleichen Weise, wie er sich in der Puppe versteckte, verbarg er sich in Nischen und Ecken, die von den Bewohnern gar nicht wahrgenommen wurden.
    So konnte er ruhig atmen. So fühlte er sich seinen Freunden nah. Indira, Pawn und Miira. Und natürlich seinem Meister.
    Einzig die Oberschwester war aufmerksam genug, ihn überall aufzuspüren. Ihrem Blick entkam der Junge nicht.
    »Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen.«
    Mit ihrem tadellos sitzenden Häubchen und der stolzgeschwellten Brust unter dem weißen Kittel stand sie da und schaute sich nach ihm um. Wie eine Befehlshaberin auf der Kommandobrücke.
    »Ja?«
    Der Junge war immer sofort zur Stelle. Nichts bereitete ihm mehr Freude, als ihr zu Diensten zu sein, egal, um was es sich handelte.
    Der Sommer hielt Einzug in den Bergen. Der Wind blies die Dunstwolken von den Kuppen, damit die Sonnenstrahlen auch in den allerletzten Winkel dringen konnten. Die Blumen rund um das Haus, die schwarzen und weißen Kieselsteine, die den Innenhof schmückten, die Wasserpflanzen auf dem See, sogar die altersschwache Gondel – alles lebte auf und erstrahlte in neuem Glanz. Wenn man aufmerksam hinsah, konnte man zwischen den Bäumen Hasen vorbeihuschen sehen. Die alten Herrschaften hielten ihren Mittagsschlaf auf der Terrasse rund um den Innenhof. Sobald sie wach waren, begaben sie sich ins Schachzimmer, wo sie die Nacht zum Tag machten. Niemandem war aufgefallen, dass der Ofen im Schachzimmer nicht mehr in Betrieb war.
    An einem dieser Tage, an denen sich die Alten an den Segnungen des Sommers erfreuten, flatterte plötzlich eine unerwartete Nachricht ins Haus.
    Herr S., ein international anerkannter Schachgroßmeister, der sich auf der Rückreise von einem Turnier befand, beabsichtigte, der Residenz einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Derartige Ereignisse waren eine Seltenheit, da auch Angehörige sich hier kaum blicken ließen. Und so sorgte der angekündigte Auftritt für ziemlichen Wirbel, zumal es sich um einen so prominenten Gast handelte. Das letzte Mal, dass ein Besucher den beschwerlichen Weg zu ihnen hinauf genommen hatte, war bereits zehn Jahre her. Damals hatte ein Opernsänger die Residenz mit seiner Anwesenheit beehrt.
    Man einigte sich schließlich darauf, dass Herr S. gegen zehn Senioren Simultanschach spielen sollte. Das Personal war eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt, damit alles reibungslos ablief. Die alten Herrschaften besprachen ausführlich, wer eine Rede halten sollte und wer die Blumen überreichte, vor allem aber, wer als Gegner infrage kam. Da es im Schachzimmer zu eng war, entschied man sich für den Salon als Austragungsort. Die sechs vorhandenen Schachbretter zogen um, die restlichen vier wurden von der Schachunion als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Die zehn Tische waren in Hufeisenform arrangiert. Die Gardinen wurden gewaschen. Ein Pappschild mit der von Girlanden umrankten Aufschrift »Willkommen in der Residenz Etüde« wurde aufgehängt und eine Wasserkaraffe aus dem Geschirrschrank hervorgeholt, die eigens für Herrn S. bestimmt war. Nur der Kleine Aljechin blieb mutterseelenallein im Schachzimmer zurück. Inmitten der aufgeregten Stimmung, die sich breitmachte, verrichtete er stillschweigend allerlei Arbeiten.
    Herr S. war ein elegant gekleideter Gentleman. Er hielt lächelnd Einzug, zu seinem Gefolge gehörten Manager, Journalisten und Fotografen. Seine gute Laune wurde noch besser, als er den Applaus der alten Herrschaften vernahm. Sein Leibesumfang war beachtlich, aber das ließ den Jungen diesmal ziemlich kalt. Das schüttere Haar des Herren und seine gemächliche Art ließen ihn älter erscheinen, als er tatsächlich war. Die bleichen Hände waren makellos rein, seine Wangen schimmerten seidig, und hinter den Ohren kräuselte sich das noch vorhandene Haar wie Zuckerwatte. Die alten Herrschaften glühten vor Aufregung und schwelgten in nostalgischen Erinnerungen an frühere Partien.
    Als das Simultanschach losging, war die Stimmung im Salon zum Zerreißen gespannt. Die zehn Auserwählten waren auch aus Sicht des Jungen die besten Spieler vor Ort. Neun Männer und eine Frau saßen nebeneinander an ihren Tischen, und Herr S. wanderte von Gegner zu Gegner. Er musste sofort seinen jeweiligen Zug ausführen, während die Alten so lange Bedenkzeit hatten, bis sie an der Reihe waren. Das Personal und die übrigen Bewohner starrten wie gebannt auf die

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