Schwindel
fuhr ich nicht endlich nach Hause?
Wegen Alina? War das nicht mehr Sensationslust als Mitgefühl? Ach, keine Ahnung! Es war eh alles egal.
Das, fiel mir ein, war ein Satz, den auch Mirko vorgestern im Wald gesagt hatte. »Es ist eh alles egal.« Ich notierte ihn
auf der nächsten Seite. Dann schrieb ich noch:
Schwindel ist das halbe Leben, Liebe die andere Hälfte und Wahrheit der Tod
dazu. Der Spruch gefiel mir irgendwie.
Unsere heutige »Urlaubsunternehmung« bestand darin, in das ein paar Kilometer entfernte Einkaufszentrum zu fahren. Berieselt
von beschwingter Musik und umgeben von vielen Menschen fühlte ich mich besser als in derbeklemmenden Atmosphäre der Mühle. Vielleicht lag das aber auch nur an den zwei Kopfschmerztabletten, die ich mir besorgt
hatte.
Wir waren kaum in der Einkaufspassage angekommen, als uns auch gleich jemand zuwinkte: Chris.
»Hey, ihr beiden! Na, euch geht’s auch nicht gut, was?«
»Das kannst du wohl sagen«, brummte Julian.
»Glaub ich gern. Mann, bin ich froh, dass ich sie nicht sehen musste. Dustin sagt, du hättest sie als Erste entdeckt, Eva?«
Ich seufzte.
»In der Zeitung steht ein großer Bericht. Den zu lesen, fand ich schon heftig. Aber das auch noch so hautnah mitzukriegen
– puh, du Arme!« Chris war nett und hatte offenbar Einfühlungsvermögen.
Julian machte nun auch ein freundlicheres Gesicht, nahm meine Hand. »Geht ihr heute ins
Tropic
? Vielleicht kommen wir auch.«
»Glaub ja«, antwortete Chris und kam dabei vertraulich an meine Seite. »Hast du überhaupt noch Bock auf Unternehmungen mit
uns?«
»Äh …« Was sollte ich sagen? Dass ich alles andere als erfreut war, Laura, Mickey und Dustin wiederzusehen? Es war abgemacht gewesen,
dass Julian und ich die Zeit zu zweit verbringen wollten. Andererseits war unser Gesprächsfaden inzwischen gerissen und unsere
Beziehung hatte derart gelitten, dass es vielleicht ganz gut wäre, Ablenkung zu haben. Zudem verdaute man einen Schock wie
den von gestern Abend wohl am besten in der Gemeinschaft und einer der Gründe, weshalb ichheute früh noch geblieben war – das ging mir plötzlich auf –, war Alinas Tod. Ich hatte sie gefunden, sie war mir laut Julian ähnlich gewesen, ich hatte mich gedanklich so viel mit
ihr beschäftigt und ich wollte wissen, was mit ihr passiert war. Einfach heimfahren und so tun, als sei es nicht passiert
oder als ginge mich ihr Schicksal nichts an, war nicht drin.
Also fügte ich hinzu: »Es ist okay. Ich gehe gern tanzen.«
»Ich auch.« Chris schien sich ehrlich zu freuen. »So richtig den Frust raustanzen, das hilft.« Er warf einen Seitenblick auf
Julian, der gerade stehen geblieben war, um sich Sportschuh-Sonderangebote anzusehen, senkte die Stimme und sagte scheinbar
beiläufig: »Sag mal, weißt du jetzt, mit wem Esra da zusammen war?«
»Wieso?«
»Nur so. Schien dich ja zu interessieren.«
Julian schloss wieder zu uns auf und Chris hatte es auf einmal eilig. »Ich hau ab. Bleibt ihr noch länger?«
Julian nickte. »Wir sind erst ein paar Minuten hier.«
»Okay, dann viel Spaß beim Einkaufen, wir sehen uns heute Abend. Ich freu mich.«
»War was?«, fragte Julian, nachdem Chris gegangen war.
»Nööö«, sagte ich.
»Na dann. Trinken wir einen Cappuccino?«
»Warum nicht?«
Wir setzten uns in ein Café mit Blick auf den Parkplatz und griffen natürlich sofort zur Tageszeitung.
Der Munkelbacher Anzeiger brachte die Nachricht vom Leichenfund auf der ersten Seite.
Fröhliche Jugendliche
in Feierlaune
hatten das Mädchen angeblich gefunden, waren jetzt
völlig verstört
und wurden
psychologisch betreut
.
»Die schreiben sich einen Schwachsinn zusammen!«, schimpfte Julian. »Psychologische Betreuung – wer hat sich denn den Quatsch
ausgedacht?«
»Wär das schlimm?«, fragte ich schnell und reichlich verstohlen.
»Nee, das nicht, aber …« Er tippte sich an die Stirn. »Erstens hat’s uns keiner angeboten und zweitens würde ich’s nicht annehmen.« Er schüttelte
den Kopf, trank einen Schluck. »Ist was? Du guckst so komisch. Hat Chris irgendwas gesagt?«
»Nichts, das ich nicht schon gewusst hätte«, sagte ich knapp. Eines war klar, es war eine gute Entscheidung gewesen, Julian
nichts von meinen Besuchen beim Fuchs zu erzählen. Julian war ein netter, lieber Kerl, aber er war nicht nur extrem launisch
und untreu, er war auch nichts Besonderes. Es würde wehtun, richtig Schluss zu machen, aber es würde nicht
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