Schwindel
erschienen. Erst als ich ihn um das Handy bat, hatte
er dichtgemacht.
Dies wiederum lenkte meine Gedanken zu jenem letzten Foto von Alina und Bernd Vollmer. Hing es damit zusammen?
Sollte ich vielleicht die Polizei anrufen und davon erzählen? Die Tagebucherpressung müsste ich dann auch erwähnen.
Doch wie würden diese spärlichen Angaben auf die Beamten wirken?
Es gab noch etwas, was mich in meinen Überlegungen nicht weiterkommen ließ: Warum hatte der Briefschreiber unter den Hauptteil
den Abschnitt dazukopiert, in dem ich meinen Fuchs lobte? Der war eigentlich überflüssig und stand im Tagebuch an ganz anderer
Stelle. Konnte es sein, dass es dem Briefschreiber um mehr als bloße Einschüchterung ging? Der letzte Satz lautete:
Ich brauche meinen Fuchs manchmal so sehr wie meinen Julian.
Mir kam ein ungeheuerlicher Gedanke: Julian! Hatte er ein Problem mit meinem fehlenden Vertrauen? Hätte er mein Tagebuch finden
können, als wir im Wald waren, als ich duschte, als er mich zum Haareföhnen nach oben geschickt hatte? Hätte er es unbemerkt
lesen können, zum Beispiel gestern Morgen, während ich schlief? Bevor wir zum Einkaufszentrum fuhren, war er, während ich
in der Garage wartete, kurz zurück ins Apartmentgegangen, um sein Geld zu holen, das er angeblich auf dem Wohnzimmertisch vergessen hatte. Aber wann hätte er Fotokopien machen
sollen? Als wir den Einkaufsbummel machten? Hatten wir uns da kurz getrennt? Und warum brachte er so wenig Energie auf, um
herauszufinden, wer mir den Brief geschrieben hatte?
Unschlüssig kämmte ich meine Haare von rechts nach links und wieder von links nach rechts, wobei ich den sanften Schwindel,
den die verwirrenden Gedanken und die unglückliche Neigung meines Kopfes auslösten, einfach hinnahm.
Auf einmal hämmerte die ganze Bande von außen gegen die Tür. Ich fuhr erschrocken hoch, der Schwindel wurde stärker, die Knie
wurden wackelpuddingweich.
»Was machst du denn so lange da drin? Hast du wieder Kreislaufprobleme?« Julians Tonfall sollte besorgt klingen, aber als
ich die Tür öffnete, sah ich in seinem Gesicht Irritation und Argwohn.
»Eva, beeil dich mal! Wir wollen was essen fahren, bevor wir ins
Tropic
gehen!«, beschwerte sich Mickey.
Laura aber übertraf wieder alle: »Ich hab schon fast gedacht: Pass auf, die Eva liegt in der Wanne und hat sich die Pulsadern
aufgeschnitten!«
Ich hätte gern etwas Befreiendes, Ironisches, Schlagfertiges geantwortet, aber das gelang mir nicht in diesem Augenblick.
Das Bild, das Laura von mir heraufbeschworen hatte, lähmte mich. Ich sagte hastig: »Ich zieh mich sofort an«, und huschte
ins Schlafzimmer.
»Wenn du nicht mitwillst, kannst du auch hierbleiben!«, rief Mickey mir nach, aber ich hörte Julian sagen:»Nein, sie kommt mit. Ich will nicht, dass sie hier allein ist. Das ist mir zu gefährlich.«
Warum gefährlich? Weil der Drohbriefschreiber aufkreuzen und mich überfallen konnte? Weil Alinas Mörder noch frei herumlief?
Oder weil ich für mich selbst eine Gefahr darstellte?
Übertreib nicht, Eva, sagte ich mir streng, als ich meine Jeans zuknöpfte. Laura redet den ganzen Tag dummes Zeug, und nur
wer dein Tagebuch gelesen hat, weiß, dass du labil bist. Wenn du dich ein bisschen zusammenreißt – nur noch für einen einzigen
Abend –, dann werden die anderen das nie erfahren. Gib nicht auf! Du bist ausgezogen, um das Fürchten zu verlernen, und das wird
dir gelingen!
25
Ohne viel miteinander zu reden, fuhren wir in Lauras Auto zu einem schäbigen Schnellimbiss und anschließend zum
Tropic
, das in einem kleinen Industriegebiet einige Kilometer entfernt vom Ort lag. Es war zwar noch keine zehn, aber der Betrieb
war schon angelaufen. Am Eingang trafen wir Esra, die von Laura sofort darüber aufgeklärt wurde, dass ich jetzt über sie und
Julian Bescheid wüsste.
»Es tut mir leid«, sagte sie und kam an meine Seite. »Ehrlich, ich bereue, dass wir das gemacht haben. Julian und ich mögen
uns, ja, aber das ist alles. Ich wusste, dass er zu Hause eine Freundin hat, und er weiß, dass er für mich nicht infrage kommt.
Wir haben rumgealbert, habeneinfach zu viel getrunken an dem Abend. Was passiert ist, ist so« – sie schnipste auf der Suche nach Worten mit den Fingern
– »so über uns gekommen. Entschuldige, Eva. Ich hab einfach einen Fehler gemacht.«
Einen Fehler gemacht … Genau diese Formulierung hatte Julian auch schon einmal gebraucht. Wann
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