Schwindelfreie Luegen
alles egal. Die warme Hand auf der nackten Haut zwischen meinen Schulterblättern spricht eine eigene Sprache. In dieser verspricht er mir die Erfüllung all meiner Träume, wenn ich nur über meinen Schatten springe und ihm die Führung überlasse, nicht nur bei diesem Tanz. Für mich steht plötzlich eines fest: Ich will Jean. Wenn er auch so empfindet, werde ich nicht Nein sagen. Irgendwann muss ich ihn allerdings darüber aufklären, was und wer ich wirklich bin, doch nicht heute Nacht.
»Was wollte Alexej von dir?«, fragt Jean plötzlich und lässt seinen Blick über die Menge der Besucher gleiten, als würde er nach etwas Bestimmtem Ausschau halten.
»Nichts Besonderes. Nur ein wenig Small Talk«, antworte ich ausweichend. Ich werde ihm nichts von den Lügen erzählen, die Alexej versucht hat, mir in den Kopf zu pflanzen. Ob er weiß, dass sein eigenartiger Freund in Wirklichkeit ein zwielichtiger Hehler ist?
Verwundert spüre ich, dass Jean sauer ist, denn er ergreift meine Hand und verlässt ohne weiteren Kommentar mit mir die Ausstellung . Liegt es daran, dass ich mit Alexej gesprochen habe? Oder ist er einfach nur ein launischer Mensch?
»Jean, warum verlassen wir so früh die Veranstaltung?«, will ich wissen, als wir die Promenade entlangspazieren. Wir verzichten auf ein Taxi und gehen die wenigen Meter zu Fuß. Der Abend ist lau und tausend Sterne glitzern am Himmelszelt. Jean hält immer noch meine Hand und für Außenstehende muss es scheinen, als wären wir ein verliebtes Paar.
»Meine Arbeit ist beendet, ich habe gesehen, was ich sehen musste. Jetzt möchte ich dich ganz für mich alleine haben« , erwidert er.
»Hast du öfter mit diesem Alexej zu tun?«, frage ich vorsichtig nach, denn die warnenden Worte des unangenehmen Russen wollen in meinem Kopf nicht verstummen, auch wenn ich nicht bereit bin, ihnen Glauben zu schenken.
»Ich hatte einige Male beruflich mit ihm zu tun. Ansonsten mache ich lieber einen großen Bogen um ihn. Er ist ein unangenehmer Zeitgenosse« , bleibt Jean vage.
Dieser Alexej macht mir Angst. Es ist etwas an seiner Stimme gewesen, an seinem Tonfall, an dem Timbre, was ich einfach nicht ausblenden kann, auch wenn ich meine Besorgnis nicht richtig zu fassen bekomme. War er vielleicht der Mann, der mich überfallen, der das Collier geraubt hat?
»Genau diesen Eindruck macht er auch auf mich«, seufze ich.
Es ist noch nicht einmal dreiundzwanzig Uhr, als wir das Hotel erreichen und in den siebten Stock fahren. Als wir vor meinem Zimmer ankommen, bleibt Jean zögerlich stehen und greift nach meiner Hand, küsst meinen Puls am Handgelenk.
»Sylvie, ich muss dir etwas sagen«, beginnt er und ich ahne nichts Gutes. »Es kann sein, dass ich in den nächsten Tagen zurück nach Paris muss. Mein Auftrag hier ist fast beendet. Aber ich möchte noch nicht, dass dieser Abend jetzt endet. Was meinst du?«
Ich weiß, was das heißt: Er will mit mir schlafen. Das will ich natürlich auch, immer noch, obwohl Jean mir durch Alexejs kryptische Warnungen, die sich wie Bakterien in meinem Kopf festgesetzt haben und dort an meinen Gefühlen knabbern, etwas unheimlich geworden ist. Was, wenn der Russe recht hat? Was, wenn ich nur ein Spielzeug für den charmanten Russisch sprechenden Franzosen bin, der hier vor der Tür meiner Suite meine Hand küsst?
Ich schaue auf und sehe Jeans begehrlichen Blick. Zärtlich fährt er mit seinem Handrücken meine Wange entlang.
»Du weißt, wie sehr du mir den Kopf verdreht hast. Schon, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, wollte ich dich, und glaube mir, das wäre ein äußerst unpassender Moment gewesen«, raunt er mir ins Ohr.
Es kribbelt in meinem Körper . Meint er unsere Begegnung im Zug? So offensichtlich begehrt zu werden, irritiert mich und reizt mich gleichzeitig, alle Warnungen, die mir mein alarmiertes Unterbewusstsein zuflüstert, in den Wind zu schießen. Mein Körper hat ohnehin längst seine Entscheidung getroffen. Er reagiert, ohne dass ich Einfluss auf ihn nehmen kann. Meine Knie werden weich bei der Vorstellung, was Jeans Hände alles mit mir anstellen können.
»Ich will dich zu nichts drängen, aber ich muss wissen, wie deine Antwort lautet.«
»Ja«, flüstere ich, öffne meine Zimmertür und ziehe ihn in die Suite.
Ich stehe unter der Dusche und lasse das Wasser über meinen Körper laufen, als wäre es ein warmer Sommerregen, in den ich geraten bin und den ich – glücklich wie ich bin – nicht so
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