Schwindelfreie Luegen
mir den Umschlag genauer an. Mit kräftigen schwungvollen Buchstaben steht dort mein Name. Ich öffne ihn und hole eine Karte in gleicher Farbe heraus.
Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben ... bitte verzeih mir! J.
Erschrocken schaue ich mich in der Halle um, doch außer mir entdecke ich nur ein Pärchen, das seinen Kaffee genießt. Ich kenne diesen Satz – es sind exakt die gleichen Worte, die der Collierdieb mir bei dem Überfall in Düsseldorf ins Ohr geflüstert hat.
Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und unter meinen Achseln. Wie von selbst fügt sich das Puzzle zusammen. Jedes einzelne Stück scheint an den richtigen Platz gerückt und wird zu einem klar erkennbaren Bild: Jean Godard ist der Mann, der mich überfallen und mit einer Pistole bedroht hat. Und er ist gleichzeitig der Mann, mit dem ich die schönste Nacht meines Lebens verbracht habe.
Was hat das nur zu bedeuten? Wie hat er mich gefunden? Warum hat er Kontakt zu mir aufgenommen? Wieso hat die deutsche Polizei keine Informationen über ihn? Denn ganz sicher hätte Christian keinen Augenblick gezögert, sie mir zukommen zu lassen, wenn es welche gäbe. Wo ist er überhaupt? Seit gestern habe ich nichts mehr von ihm gehört.
Immer mehr Fragen werden aufgeworfen, auf die ich keine Antwort habe. Wie um mich auf eine Spur zu bringen, rauscht draußen wieder ein Polizeiwagen mit einer Sirene vorbei. So geht das schon den ganzen Morgen. Der fingierte Juwelenraub! Ich atme tief durch. Ich bin im Dienst und unsere Taktik scheint aufzugehen.
Was Jean betrifft , beschleicht mich ein ungutes Gefühl und ich hole mein Handy aus der Tasche, stelle eine Verbindung nach Deutschland her.
»Juwelier Kovac«, meldet sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Herr Kovac, hier spricht Sylvie.«
»Sylvie, mein Gott, wie geht es Ihnen ? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Die Polizei wollte noch einmal mit Ihnen sprechen und konnte Sie nicht erreichen. Wo um Himmels willen sind Sie?« Erleichterung ist in seiner Stimme zu hören, doch seine Frage zeigt mir auch, dass die Einladung zu diesem Trip niemals von ihm stammen konnte.
»Ich bin in Cannes«, antworte ich knapp.
»Was machen Sie in Cannes, meine Liebe?«
Ja, eine gute Frage, die ich mir auch gerade stelle. »Ein paar Tage ausspannen. Herr Kovac . Wenn ich wieder in Düsseldorf bin, müssen wir uns unbedingt unterhalten.«
»Ich bin immer für Sie da. Melden Sie sich, sobald Sie wieder zu Hause sind.«
»Vielen Dank, Herr Kovac, das werde ich tun.«
Ich lege auf und bitte den Concierge, mir die nächste Zugverbindung nach Deutschland herauszusuchen. Er teilt mir freundlich mit, dass der Zug nach Paris in drei Stunden fährt und ich bin voller Zuversicht, dass sich Alexej bei mir melden wird, bevor ich Cannes verlasse. Ich muss einen klaren Kopf behalten. Um Jean kann ich später trauern.
Auf meinem Zimmer packe ich schnell meinen Koffer. Ich will keine Minute länger als nötig in diesem Hotel verbringen. Hier, wo mich alles an Jean erinnert und seine Lügen. Außerdem beschleicht mich Angst, er könnte jeden Moment wieder auftauchen, denn ich weiß nicht, warum er das alles inszeniert hat, welche Rolle er hier spielt. Will er seine Spuren verwischen und den Verdacht auf mich lenken?
Ich bin vollkommen durcheinander und lasse mich erschöpft auf das Bett fallen. Du lieber Gott, wie leichtgläubig ich doch war! Einem völlig Fremden dermaßen zu vertrauen. Ich könnte mich selbst ohrfeigen, für so viel Dummheit hätte ich eine ordentliche Tracht Prügel verdient. Selbst wenn ich mir verzeihen könnte, als Frau auf seinen hinterlistigen Charme hereingefallen zu sein, meine Erfahrung als Polizistin hätte mich eigentlich warnen müssen. Es hätte ihm nie gelingen dürfen, meine professionellen Instinkte völlig außer Gefecht zu setzen. Ich habe versagt.
Das Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen trüben Gedanken und Grübeleien. Ein Mann mit einem langen schwarzen Mantel steht vor mir. Was bei diesem Wetter äußerst unangebracht ist, denn 25 Grad Außentemperatur kann man nicht gerade als kalt bezeichnen. Er hat ungefähr meine Größe, also circa eins achtundsiebzig, mit starren grauen Augen und buschigen Augenbrauen und hält mir einen Ausweis unter die Nase.
»Madame, ich bin Inspecteur Chevalier von der SCTIP, der Polizei für internationale technische Zusammenarbeit.«
»Für was?«, frage ich heuchlerisch nach, denn
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