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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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lächelnd Anna Maria Lenngren zitiert, denkt nicht daran, ein neues Leben zu beginnen. Ich konnte also unbesorgt sein. Sie brauchte es aber, manchmal den Gottesdienst zu besuchen.
    Es war eine sehr schöne Sommernacht. Kleine Wellen spielten gegen die Steine und rührten Seewassergeruch auf. Der Siljan ist nie richtig still, er ist zu groß, um ganz zur Ruhe zu kommen. Stets bewegt irgendeine Strömung oder ein leichtes Lüftchen das Wasser, das jetzt mattblau war und, wo es leise gegen die Ufersteine schwappte und die Oberfläche aufbrach, silbrig wurde. Musse und ich gingen durch Wogen von Blumenduft, die mitunter so stark gesättigt waren, dass sie den Seegeruch überlagerten. Dank Lillemor wusste ich, wie die meisten Blumen hießen. Ich wusste sogar, dass die Waldhyazinthe, deren Duft jetzt die schwache Seebrise aufwog, keine Hyazinthe war, sondern eine Orchidee. Anfangs hatte ich nur deshalb Pflanzennamen in den Text gestreut, weil sie es mir geraten, manchmal nahezu gefordert hatte. Mittlerweile wusste ich selbst, wohin sie in meinen Wortlandschaften gehörten. In der Zeit mit Ante auf seiner gesegneten Schweineranch hatte das Gefolge der Waldblumen in mein Schreiben Einzug gehalten.
    Ich hatte den Pfad eingeschlagen, der unterhalb des Friedhofs am See entlangführte, und ich war dankbar, dass ich geweckt worden war. Juninächte sollte man nicht verschlafen. Musse und ich hatten den gesamten Friedhof umrundet und waren nun auf dem Rückweg, als ich Geigenmusik vernahm. Zuerst leise, dann immer lauter, je näher wir einer kleinen Kapelle kamen. Doch die Musik kam nicht von dort. Ein Mann stand an einem Grab und spielte. Musse wollte natürlich sofort zu singen anfangen, doch ich packte sie am Nackenfell und hielt ihr den ausgestreckten Zeigefinger vor die Schnauze. Sie hatte gelernt zu gehorchen und schwieg finster. Sie hatte wohl genauso große Freude wie ich, in der Nacht diese Geige zu hören. Mitsingen durfte sie aber nicht.
    Er spielte eine kunstvolle Melodie. Ich bin mir sicher, dass es im Grunde nur ein einziges Lied war, doch er spielte Variationen, die er improvisierte. Ich verstand nichts von Volksliedern, doch diese Musik, sowohl schwermütig als auch schwer zu spielen, erinnerte mich an richtig guten Jazz. Sie war nicht durchgehend wehmütig. Es kamen Partien, die im Nachtlicht schwebten, und Veränderungen des Ursprungsthemas, die sich nur humoristisch auffassen ließen. Hier empfand einer Trauer und Schmerz und wagte doch, damit zu scherzen.
    Er stand vor einem Grab, das erst vor Kurzem zugeschüttet worden war und auf dem noch die Kränze und Buketts von der Beerdigung lagen. Breitbeinig und sicher stand er da in einer grünen Waldarbeiterhose mit vielen Taschen. Auf dem Rücken seines T-Shirts war Cewes Cement zu lesen. Ihm musste beim Spielen warm geworden sein, denn ich sah, dass er auf dem Grabstein neben dem frisch angelegten Grab mit seinen Blumen und goldbeschrifteten Bändern ein kariertes Flanellhemd abgelegt hatte.
    Er hatte kurze Beine, und obwohl er eine Hose trug, sah ich, dass sie muskulös und gut gebaut waren. Oder weiß ich das aus späteren Zeiten und Tagen? Seinen dicken Bauch kann ich damals nicht bemerkt haben, denn er stand mit dem Rücken zu mir. Die kräftigen Schultern und die  schwarzen Locken, die sich ein Stückchen über seine Ohren ringelten, die bemerkte ich. Die Geige sang, sie sang, als wäre er ihr Werkzeug. Sie sang, sie quinkelierte und vollführte kühne Schritte, als läge die Voraussetzung für ihre Verwegenheit just darin, dass er, der sie hielt, so sicher im Kies des Friedhofs stand. Er war ein Fels, und aus diesem Felsen brach die Musik und in ihr seine Trauer hervor. Vielleicht auch seine Freude. Was wusste ich schon?
    Eigentlich wollte ich nichts wissen, denn wenn ich mich zu erkennen gäbe und wir ins Gespräch kämen, würde die Musik verstummen. Ich nahm Musse auf den Arm, da sie jetzt vor lauter Lust zu heulen zitterte. Langsam zog ich mich zu einem Grab mit einem großen liegenden Stein zurück. Ich setzte mich mit ihr hin und hoffte, dass er sich nicht umdrehte und wir weiterhin ungesehen zuhören konnten. Der kleine Hundekörper bebte warm an meiner Brust. Mir kam die verrückte Idee, dass Musse ein Auswuchs von mir sei, ein aus meinem Körper ausgeschlagenes Seelenohr. An so was erinnert man sich. Wann er uns entdeckt hat, weiß ich dagegen nicht mehr. Dafür seine ersten Worte.
    Die sind schwer zu vergessen. »Wer zum Teufel bist du?«
    Er

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