Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Frankreich verließ de Gaulle fluchtartig Paris und seine Regierung, als es Pflastersteine zu hageln begann. Olof Palme, seinerzeit Bildungsminister, ging ins besetzte Studentenzentrum und versuchte über Demokratie zu sprechen. Es lohnte sich aber nicht. Man wollte eine andere Studienordnung als die eines bürgerlichen Humanismus, der mit den Forderungen der Wirtschaft Arm in Arm ging. (Niemand ahnte, welcher der beiden Kontrahenten zum Tode verurteilt war.)
Kultur ist Unterscheidungsvermögen. Sie ist Montaignes distinguo . Eine Kultur kann nicht alles umfassen, denn dann fällt sie auseinander. Nachdem der totale Freiheitstraum sich ausgetobt hatte, setzte erneut ein Prozess der Unterscheidung ein. Jetzt aber passte er sich Gruppen an, die sich mit sich selbst beschäftigten. Dass es nach den totalitären Träumen nun um die distinguo des Individuums ging, war ja nicht weiter verwunderlich.
Heute kann schließlich jede und jeder das eigene Unterscheidungsvermögen im world wide web anwenden. Literaturförderung und Kleinverlage helfen dabei, den persönlichen oder schlichtweg originellen Geschmack auszubilden. Die großen Verlage sehen zu, dass diejenigen, denen es an kultureller Distinktion mangelt, ihren Teil bekommen. Krimis sind bestialisch geworden, Romane und journalistische Prosa tendieren in Richtung Enthüllungsgenre. In einer Hinsicht ändert sich die Welt nämlich nicht: Der Klatschfaktor erhält die Prosa am Leben, heute wie zu Fredrika Bremers Zeiten. Die Autorinnen und Autoren präsentieren sich lautstark auf den Buchmessen, falls sie es können, ohne Migräne zu bekommen. Der Rest hat sich in literarische Cafés zurückgezogen und liest bei Kerzenlicht vor. Da ich eine breit angelegte Erzählerin bin, gehört Lillemor zum Buchmessenvolk.
Von all dem ahnten wir nichts, nicht mal als Lillemors kultiviertes Filmdrehbuch in den Händen ihres Koautors von Überparfümierung in Gestank überging.
Ich wollte mitkommen, wenn Lillemor verreiste, um unsere Bücher zu präsentieren, doch sie war nicht sonderlich scharf darauf. Immerhin klappte es nach Erscheinen unseres dritten oder vierten Krimis, der sogar übersetzt worden war. In dem großen Hotel in Oslo angekommen, kehrte sie mir an der Rezeption den Rücken und scherte sich nicht darum, dass wir zu zweit waren. Ich blieb mit meinem Gepäck im Foyer stehen und starrte auf ein Blumenarrangement in einer riesigen Vase mit Fuß. Es bestand aus massenhaft Rosen in verschiedenen Farbnuancen, die so kunstvoll angeordnet waren, dass sie von einer Basis aus voll aufgegangenen Blüten in Rosarot mit leichtem Stich ins Gelbe in die Höhe strebten wie ein sich verjüngender Turm und in einer Spitze aus Knospen ausliefen, die sich gerade erst öffneten. Nicht eine war welk oder ließ auch nur den Kopf hängen. Dabei waren es echte Blumen. Dieses Arrangement erschreckte mich zu Tode.
»Hier kann ich nicht bleiben«, sagte ich zu Lillemor.
»Meinetwegen bleib, wo du willst«, sagte sie. Ich wusste, dass sie vor ihren Interviews nervös war und mich nicht dabeihaben wollte. Ich ging. Eine geschlagene Stunde saß ich in einem Straßenlokal unterhalb des Nationaltheaters und glaubte, sie würde mich suchen, aber Pustekuchen!
Ich fühlte mich wie ein geprügelter Hund. Was das Hotel anging, wurde mir klar, dass da mein Vater in mir spukte. Er konnte nicht mal in eine Bank gehen, obwohl er keine Ahnung hatte, wie es war, dorthin zu kommen. Er wusste nur, dass dies kein Ort für ihn und seine Klasse war. Meine Mutter war da schneidiger, und deshalb erledigte sie die wenigen Bankgeschäfte, die in ihrem Leben anfielen. Es handelte sich vor allem um die Ratenzahlungen für das Haus. Sie hatten Geld aufgenommen, um den Kasten mit Badezimmer und allem zu renovieren.
Von dem eleganten Continental, in das ich ebenso gut passte wie meine ausgetretenen Schollsandalen, floh ich in ein normaleres Hotel in der Karl Johan Gate und schrieb, bis ich am Abend erschöpft war. Schlief ein, wachte nach zwei Stunden auf und hatte Hunger. Ich hatte völlig vergessen, etwas zu essen. Erinnerte mich, an der Straße einen Kiosk mit Imbiss gesehen zu haben, schmiss mich wieder in meine Klamotten und verließ durch totenstille Flure und einen knarrenden Aufzug das Hotel. Kaufte mir Kartoffelpüree mit einer zu lange gegrillten Wurst, Gurkenrelish, gerösteten Zwiebeln und Ketchup und schmuggelte die Pappschale so unauffällig wie möglich am Nachtportier vorbei auf mein Zimmer. Auf der
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