Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
endete damit, dass der rundliche Humorist des Ordens Tom Lehrer sang:
I hold your hand in mine, dear,
I press it to my lips.
I take a healthy bite
from your dainty fingertips.
Sein Bariton war nicht übel, und zwischen den Strophen drehte er jedes Mal die Enden seines roten Schnurrbarts nach oben.
My joy would be complete, dear,
if you were only here,
but still I keep your hand
as a precious souvenir
sang er mit kummervoll vibrierender Stimme. Lillemor fand den Song über die Frauenleiche wirklich widerlich, wahrscheinlich deshalb, weil es ihr nicht gut ging. Er löste so heftige Lachorkane aus, dass der Sänger bei der nächsten Strophe noch mal von vorn anfangen musste, damit die Worte überhaupt durchdrangen.
Sie schaffte es nicht, sich zur Polonaise aufzustellen, als Rolf mit dem Marschallstab auf den Boden pochte. Das war schade, denn schließlich war sie dreimal zu einem Kurs gegangen, um die Tänze zu lernen. If you were only here , bohrte und brummte es in ihr, während sie dasaß und dem Tanz zusah. Es half nichts, dass die Musik jetzt rokokosüß und preziös war . If you were only here, if you were only here , leierte es in ihr fort.
Als jedoch die Française kam, musste sie aufstehen, da der Zeremonienmeister Rolf und sie dazu ausersehen hatte, den Tanz anzuführen. Sie war schlicht gezwungen, ihn über die Bühne zu bringen. Es ging recht gut, und als sie die andere Seite die Damenkette machen sah, fand sie es schön, und die hartnäckige Tom-Lehrer-Zeile war aus ihrem Kopf verschwunden.
Es wurde eine lange Nacht, die am Ende kaum durchzustehen war. Sie tanzten unter Begleitung von Arvid Sundins Orchester, das auch auf den Bällen der Prinzessinnen im Schloss zu spielen pflegte. Gegen zwei Uhr gab es einen Mitternachtsimbiss mit gedünsteten Champignons, Wurst und Schinken, danach auf der Treppe Serenaden, und erst um vier Uhr kamen sie los und mussten dann lange im Wind stehen und auf ein Taxi warten. Als Lillemor ihr Kleid auszog, fiel ihr nichts Besonderes daran auf, doch am nächsten Vormittag entdeckte sie auf einem der Rosettenenden drei fette Fingerabdrücke. Für sie war das Kleid dadurch verdorben, und ihr ging durch den Kopf, dass es neunhundertfünfundachtzig Kronen gekostet hatte. Aber sie wollte es nicht mehr haben.
Es ist Nacht,
und Lillemor weiß, dass sie nicht schlafen kann, wenn sie das Manuskript aus der Hand legt, denn sie begreift, dass Babba ihre Tagebücher hat. Sie muss einen Schlüssel für den Tresor haben, oder sie hat ihn auf der Rückseite aufschweißen lassen. Anders kann sie nicht derart über Lillemors Gedanken und Gefühle schreiben.
Doch, natürlich kann sie das! Es stimmt jedoch alles. Es ist keine Dichtung. Das ist Diebstahl von Leben. Sie hat meine Erinnerungen und Geschichten. Warum war ich nur so erzählfreudig?
Lillemor ruht ein Weilchen, indem sie die Leselampe beiseiteschiebt und ins Kissen rutscht. In einem Augenblick flüchtigen Halbschlafs denkt sie: Mutter war nett.
Als sie wieder wach ist: Mutter konnte durchaus nett sein. Dinge wie die, dass man zum Oscarsball ein neues Abendkleid braucht, verstand sie wirklich.
Sie las, sie hätten sich am Hauptbahnhof in Stockholm getroffen und seien zu NK gegangen. Sie hatten aber ein Taxi genommen. Lillemor ist sich ziemlich sicher, dass sie damals den Chauffeur gebeten hat, in der Hamngatan auf halber Höhe anzuhalten.
Und er antwortete: »Hör mal, da geht’s nicht mehr hoch.«
Ihre Mutter hat sich bestimmt mehr darüber geärgert, dass ein Chauffeur mit Uniformmütze ihre Tochter duzte, als darüber, dass die Stadt abgerissen und umgegraben wurde. Wenn Lillemor in Richtung Norden fährt, schaut sie immer auf den Berg weit draußen vor der Stadt, der mit dem Abraum des Brunkebergsåsen aufgeschüttet wurde.
Das mit Mutter und dem Chauffeur habe ich nie erzählt. Alles weiß sie nicht! Und manche Peinlichkeit schreibt man eben nicht in ein Tagebuch. Wie etwa die, dass am Tag nach dem Oscarsball eine Beamtin und ein Beamter auf dem dänischen Sofa saßen, um Rolfs und ihre Tauglichkeit als Eltern zu beurteilen. Es handelte sich um einen Hausbesuch, ein Wort, bei dem Lillemor an ganz andere soziale Verhältnisse dachte.
Als sie am Tisch saßen, sah sie, dass sie Rolfs Frack und ihr grünes Abendkleid auf dem Balkon hatte hängen lassen. Weil sie sich an das Bild der Ballkleider im Wind noch so deutlich erinnert, weiß sie, dass es der Tag nach dem Ball gewesen sein muss und dass die Sozialamtsleute
Weitere Kostenlose Bücher