Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
die Tasche gesteckt hatte, sah ich mir natürlich an, bevor ich sie zerknüllte und unter das Anbrennholz stopfte. Es handelte sich um Exzerpte und lange Tabellen, und sie konnten eigentlich nur Roffes Dissertationsmaterialien entstammen. Ich traute mich nicht, Lillemor zu fragen, was sie getan hatte. Es war zu sonderbar. War es nicht sogar kriminell?
Es dauerte Jahre, bis ich eine Bestätigung bekam. Es waren tatsächlich Roffes Dissertationsmaterialien gewesen. Kartonweise.
»War er denn nicht fuchsteufelswild?«, fragte ich.
»Er hat es nie gemerkt.«
»Er hat nicht gemerkt, dass seine Forschungsunterlagen weggekommen waren? Versenkt worden waren?«
»Nein«, sagte sie. »Er hat es nicht gemerkt, denn diese Dissertation war seine Lebenslüge. Ich habe alte Zeitungen in die Kartons gepackt und sie wieder in seinen Schrank gestellt. Als wir auseinanderzogen, müsste er es eigentlich entdeckt haben. Aber er hat nie etwas gesagt.«
»Schmalzgrafen«, nannte meine Mutter die Reste, die im Topf nach oben trieben, wenn sie Schweinefett ausließ. Roffe war eine Zeit lang nach Umeå gefahren. Machte Reklame für ein Arzneimittelunternehmen in Uppsala und bearbeitete die jungen Mediziner an der dortigen Hochschule. Er trieb als Berater mit unwahrscheinlich teuren Krawatten nach oben.
Lillemor verschwand einfach. Es dauerte vier Monate, bis ich sie zu fassen kriegte. Da ging sie mit einem großen, mageren Hund an der Leine durch die Bäverns Gränd. Ich glaube, es war eine Promenadenmischung und so weit von ihrem niedlichen kleinen Schnauzer entfernt, wie es ein Hund nur sein kann.
»Wo ist Puck?«, fragte ich.
»Er ist tot.«
Nun, Hunde sterben schon mal, deshalb kam mir gar nicht der Gedanke, noch weiterzufragen. Ich brauchte Jahre, um Pucks Geschichte zusammenzupuzzeln. Lillemor, die sonst richtige Erzählausbrüche bekommen konnte, und das galt auch für Traurigkeiten, schwieg lange über diesen Hund.
»Er war erst sechs Jahre alt«, sagte sie. »Und wir haben ihn getötet, weil er ein Kind in den Arm gebissen hat.«
Sie kam nicht darüber hinweg.
»Ein Hund«, sagte ich. »Du hattest doch wohl keinen bösen Hund.«
»Er war nicht böse. Er war nicht mal labil. Wir haben ihn uns vom Hals geschafft, um ein Kind zu bekommen.«
»Dann ist das doch nicht weiter verwunderlich. Wenn er Kinder gebissen hat, dann konntet ihr ihn ja nicht behalten.«
»Er hat keine Kinder gebissen. Er hat sie zuerst gewarnt. Aber wenn die nicht darauf achten oder sein Knurren nicht verstehen, kann natürlich ein Unglück passieren. Er war auf seine Integrität bedacht.«
Die Vorstellung, dass ein Hund Integrität besitzen könne, fand ich absurd.
»Körperliche Integrität«, erklärte sie. In diesem Punkt war sie kategorisch.
Jetzt in der Bäverns Gränd, wo sie, es war Februar, im Schneematsch stand und der große Hund an einen Bretterzaun pinkelte, sagte sie jedoch gar nichts. Erzählte nicht mal, wo sie wohnte.
»Es ist nur vorübergehend«, sagte sie.
»Wir können doch zur Kate rausfahren«, schlug ich vor. »Wir müssen doch zu schreiben anfangen.«
»Nein, damit ist Schluss.«
Wie treulos sie war. So durch und durch falsch und unzuverlässig, dass sie mir nicht mal eine Erklärung geben wollte. Als wäre die Arbeit in all diesen Jahren nichts Gemeinschaftliches gewesen. Waren wir denn keine Freundinnen? Noch nie bisher? Zumindest aber waren wir doch Partnerinnen! Lebte sie denn nicht von dem, was wir zusammen erarbeitet hatten? Was ich erarbeitet hatte.
Als sie mit dem großen, knochigen Hund verschwand, der eigenartig gelbe Augen und einen Metallspund im Bauch hatte, verstand ich die Welt nicht mehr und brachte es nicht mal fertig, ihr nachzugehen. Es tat zu weh. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung und stapfte so heftig durch den Matsch, dass die Pampe auf die Östra Ågatan spritzte, und machte erst halt, als ich vor Güntherska stand. Es war dumm, in diese Konditorei zu gehen, wo ich doch den Tränen nahe war. Mir fiel nämlich ein, dass wir dort die Sache mit der Luciageschichte abgemacht hatten. Ich ging trotzdem hinein und bestellte Kaffee. Es war schön, von der Konditoreiwärme und dem Duft von der Kuchentheke umfangen zu werden.
Warum saßen wir nicht gemeinsam hier? Ganz hinten an der Wand saß Jarl Hjalmarson. Was machte er hier? Er war jetzt nicht mehr Parteivorsitzender, sondern irgendwo Regierungspräsident. Ganz allein saß er da. Ich erinnerte mich, dass er mal ein geschickter Zauberer
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