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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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schluchzte nicht, die Tränen liefen ihr einfach herunter wie der Regen über die Fenster. Sie brachte es nicht fertig, den Rest zu lesen, und reichte das Buch weiter. Eines der Waldweiber, Torun, nahm es und las die Seite zuerst still für sich.
    Dann sagte sie ganz leise: »Du bist traurig wegen all der … Hoffnung und Freude und allem, was verschwunden ist. Vielleicht wurde es zu Asche und Ruinen und Verzweiflung, was weiß ich. Vielleicht sogar zu Verrücktheit. Aber nicht zu Tod, Lillemor. Nicht zu Tod . Wir sitzen alle hier, egal, was wir erlebt haben. Und du darfst dir die anderen Vogelnamen nicht wie einen Haufen Müll denken. Worte, Perücke, Wälzer, Pergament, Raub, Präzedenz, Galimathias, Quatsch und Unsinn sind ganz alltägliche Wörter.«
    Sie las jetzt aus dem Buch.
    »Vielleicht sind es auch gute Wörter«, sagte sie. »Keine so ernsten, Lillemor. Ein bisschen Quatsch manchmal. Und ein wenig Unsinn machen, was ist daran schlecht?«
    Und dann las sie uns weiter vor. Lillemor lehnte sich auf der Küchenbank zurück, und als ich sah, wie Jeppe sich von seinem Platz unter dem Tisch erhob und mit der Schnauze ihre Hand suchte, kam mir eine Einsicht, die mir schon längst hätte kommen müssen: Lillemor war noch nie zuvor unter richtig netten Menschen gewesen.

Natürlich kam man einander näher,
wenn man ein Doppelzimmer teilte. Es war zum einen billiger, und zum anderen hatten sie in der Schule nie die Möglichkeit gehabt, miteinander zu schlafen. Das Gerede wäre an ihnen kleben geblieben, obwohl Sune Witwer war. Immerhin war er der Rektor.
    Wie schön, in den frühen Morgenstunden am Küchentisch zu sitzen, während das Radio leise über herannahende Tiefdruckgebiete und entfernte Katastrophen schnurrt. Wie schön, Ruhe zu haben vor diesem Papierhaufen, der im Schlafzimmer liegt und den Ablauf der Ereignisse mit sich selbst abmacht. Wahrscheinlich finden in seinem ungelesenen Innern Kernreaktionen statt, doch in diesem Augenblick weiß Lillemor nichts davon. Sie erinnert sich stattdessen an Dinge, von denen Babba keine Ahnung hat: dass in Leningrad und Moskau endlich etwas daraus werden sollte, miteinander zu schlafen. Aber es wurde nichts daraus. Jedenfalls nicht so richtig, wie sie sich vorgestellt hatte. Es ging so schnell. Und dann war es, als wäre es nie geschehen.
    Er hatte so viele andere gute Seiten. Zum Beispiel erfasste er mit seiner ironischen Art Dinge, die Lillemor anfangs überhaupt nicht verstand. Wie zum Beispiel die Sache mit den Jeans, welche die Antiquitätenhändlerin den Pionieren in Komorsk schenken wollte. Sie war in der Reisegruppe die Einzige über fünfzig und so enorm bepackt, dass sie sogar für Mehrgewicht bezahlen musste.
    Die Zöllner gingen die Bücher im Gepäck der Gesellschaft sehr sorgfältig durch, und weil sie siebzehn in der Gruppe und alle irgendwie intellektuell links waren (außer Sune, dem wahren Sozialdemokraten!), wurde vieles beschlagnahmt. Lillemor kam mit Jan Olof Olssons Leningradbuch allerdings durch, das weiß sie noch.
    Mit den Zollbeamten zu diskutieren wagte man eigentlich nicht, da sie gegenüber Büchern eine völlig andere Haltung einnahmen als gegenüber Jeans. Es zeigte sich, dass sie in der Familie Pioniere hatten, die amerikanische Jeans brauchten, weswegen es damit keine Probleme gab. Sune glaubte nicht mal, dass es überhaupt ein Komorsk gab. Er war klug.
    Silvester feierten sie in Leningrad in einem Restaurant, das in einem Turm lag und sich über Treppen Absatz um Absatz so viele Etagen hochschraubte, dass man sie gar nicht zählen konnte. Breschnew sprach geschlagene drei Stunden aus dröhnenden Lautsprechern, was aber nicht viel ausmachte, da die Leute immer betrunkener wurden, zwischen den Tischen tanzten und Lachs, Stör, Kaviar, Piroggen, Roastbeef und Pasteten aßen. Als es Mitternacht schlug, prosteten sich alle feierlich zu, während Breschnew in dem Getöse aus Stimmen, Musik, Gläserklirren und auch einigem Bruch unverdrossen weiterleierte. Gittan aus Småland und ihr Freund Bengt wünschten allen ein gutes rotes Jahr, und sie fragten sich, wie es im neuen Jahr um den revolutionären Kampf in Schweden bestellt sein würde.
    »Gute Frage!«, sagte Sune.
    Deswegen, aber vielleicht vor allem wegen seines Lächelns, wurde ihm hart zugesetzt, als sie an Neujahr in Svennes und Lisbeths Zimmer zu Kritik und Selbstkritik zusammenkamen. Zuvor hatten sie die Eremitage und das Gefängnis besichtigt, in dem die Zaren ihre politischen

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