Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
Vom Netzwerk:
Mund. Es sah aus wie ein winziges Kuscheltuch, und als sie erkannte, dass es sich um ein Stück ihres alten Nachthemds handelte, weiß mit rosaroten Blumen, war sie gerührt und bedrückt zugleich.
    Sie berührte ihn vorsichtig am Arm und fragte, ob er Tee haben wolle. Der Arm war schlaff. Sie berührte sein Gesicht, rüttelte ihn an den Schultern, keine Reaktion. Da versuchte sie, ihm ein Lid aufzuschieben, sah aber keinen Blick, sondern nur ein Stück unsehenden grauweißen Augapfel. Der Junge war bewusstlos.
    Als sie sich den Stofffetzen an die Nase hielt, merkte sie, dass er nach Lösungsmittel roch. Sie glaubte, sie würde tatkräftig und zupackend handeln, aber sie war unversehens von Panik ergriffen worden. Sie packte ihn unter den Achseln und schleifte ihn in die Küche. Tragen konnte sie ihn nicht, obwohl er kein großer Fünfzehnjähriger war und überdies mager. Sie zog ihn zur Hintertür. Dann holte sie schnell ihre Handtasche mit den Autoschlüsseln und rannte zum Auto. Sie ließ den Motor an und fuhr ums Haus herum zum Kücheneingang. Hier war man von den Schulgebäuden aus nicht zu sehen. Es war ein wahnsinniges Gezerre, den Jungen auf den Rücksitz zu verfrachten, und als er endlich halbwegs dort lag, nach wie vor bewusstlos, begriff sie, dass sie in Panik gehandelt hatte, und dachte an ihre und Babbas Krimis und an das Geschleppe und die Vertuscherei, wenn es um Mord ging.
    Worum ging es hier?
    Sie hatte als Frau des Rektors gehandelt und es vermieden, einen Krankenwagen zu rufen. Keinen Skandal an der Schule. Sunes Vortrefflichkeit und Autorität mussten intakt bleiben. Er konnte unmöglich einen Sohn haben, der Lösungsmittel schnüffelte.
    Schon nach drei Stunden waren sie zurück in ihrem Haus, und da erschien es nicht mehr so kriminell, dass sie versucht hatte, seinen Zustand zu verbergen. Im Krankenhaus hatten sie kein großes Interesse an ihm gehabt, weil er auf der Fahrt dorthin schon wieder zu sich gekommen war. Ein junger Arzt hob ihm das Lid an und besah sich das Auge, horchte das Herz ab und drückte lustlos mal hier, mal da.
    »Lass den Scheiß«, sagte er.
    Das war es auch schon. Auf dem Heimweg wusste sie nicht, was sie zu Tomas sagen sollte. Ihr Kopf war völlig leer. War er ein Kind? Oder ein halbwüchsiger junger Mann mit schlauem, schrägem Blick? Er hatte gedacht, sie würde den ganzen Nachmittag bis weit in den Abend fortbleiben. Es war abgemacht, dass er in der Schulmensa essen würde. Sie war jedoch vorzeitig zurückgekehrt.
    Sie wusste, dass Tomas Geld aus ihrer Brieftasche stahl, hatte jedoch nie etwas zu sagen gewagt, weil sie sich vor einem Ausbruch offener Feindseligkeit fürchtete. Darum muss Sune sich kümmern, dachte sie. Wenn er aus Stockholm zurückkäme, würde sich alles regeln. So war es nun mal, Teenager zu haben.
    Tomas ging sofort hinauf und ins Bett. Ihm war schlecht, und er wollte nichts essen. Es wurde still im Haus. Frühlingsabend. Sie hörte Amseln, als sie das Fenster öffnete, um den Lösungsmittelgeruch hinauszulüften, den sie sich jetzt vielleicht nur noch einbildete. Schließlich verfliegt er schnell.
    Es war ein schönes Zimmer. Ihre Erinnerung verweilte gern dort und bei dem melancholischen Gesang der Amseln. Es war auf die leicht unterkühlte Art schön, die ausländische Gäste der Schule als modern nordisch auffassten. Grau, graublau, weiß. Stahlrohr und Bugholz. Blasse Aquarelle. Weiße Leinenvorhänge, die das eindringende Licht abmilderten. Das schwarze Black-Sabbath-Cover mit seinen bluttriefenden Buchstaben lag noch auf dem hellgrauen Teppichboden.

Ende März kam
sie zu mir zurück. Lillemor liest nur diesen Satz, dann legt sie ihre Daunendecke über das Manuskript. Warum um alles in der Welt, warum bin ich zurückgekommen? Um ausgescholten und verhöhnt zu werden. Um unübersichtliche Spiralblockseiten zu lesen und immer wieder über Kürzungen und Erklärungen und über Streichungen, besonders von Naturschilderungen, zu diskutieren. Wer liest schon Naturschilderungen? Babba sagte bockig, wenn sie nun endlich diese verdammte Natur entdeckt habe, dann könne sie wohl auch darüber schreiben.
    Ihre Pflanzennamen berichtigen. Darauf hinweisen, dass das Hungerblümchen nicht zur selben Zeit blüht wie das Kleine Mädesüß. Ausrufezeichen entfernen. Wer benutzt die heute noch? Rechtschreibfehler und offensichtliche Satzbaufehler berichtigen. Abtippen. Durchschlagpapier einlegen. Umarbeiten. Umarbeiten und noch mal umarbeiten. Während Babba

Weitere Kostenlose Bücher