Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
gestrichenem Holz, ein Requisit aus einem Theaterstück. Es gab damals Kultur dort oben. Guttemplergruppen mit Chor und Theater. Genauso konfus wie alle wirkliche Kultur: Kinder, die sowohl Esaias Tegnérs König Karl als auch Ossiannilssons An einen Unterdrücker aufsagten. Ich denke, das können drei Bücher werden. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, wenn die Kinder über andere Kinder lesen, die vor den Verbrennnungsöfen erschlagen wurden. Wir werden sie Jahrhundert der Kinder nennen. Diese Folge, diese Trilogie. Jedes Buch wird einen eigenen Titel haben. Das erste soll Kuckucksspeichel heißen.«
»Aber das ist ja wieder so was«, sagte sie mit einer hilflosen Geste in Richtung der Spiralblocks.
»Ganz und gar nicht. Im Kuckucksspeichel, da verbirgt sich die Blutzikade, wenn sie an einem Grashalm sitzt. Und die Kinder haben ihre Blasen dort, wo sie zu überleben versuchen.«
Lillemor kündigte ihre restlichen Stunden bei der Schule. Sie wollte weg von alledem und in Archiven und Abhandlungen jetzt nach den Kindern und deren Leben suchen. Wir sprachen auch diesmal nicht darüber, dass es mit unserer Zusammenarbeit beinahe zu Ende gewesen wäre. Wir nahmen sie einfach wieder auf und kümmerten uns nicht um die Geschichte mit der Wahrheit und den Bekenntnissen. Sie fuhr zu den frauengeschichtlichen Sammlungen nach Göteborg, wurde aber enttäuscht, denn Kinder kamen dort nicht vor.
Die Kinder saßen unter den Rhabarberblättern und den sich wiegenden Kronen und Spitzengewirken des Wiesenkerbels. Sie standen in den Tümpeln, mucksmäuschenstill und mit bloßen Beinen, bis sich die Blutegel festgesogen hatten, worauf sie aus dem Wasser stiegen, die Tiere ablösten, sie in ein Glas steckten und damit zur Apotheke rannten.
Die Kinder kauerten unterm Küchentisch und bepinkelten sich, wenn die Mutter Prügel bekam. Sie pickten dort Zwiebackkrümel auf und warteten geduldig, fast schlau, bis die schweren Schritte sich entfernten, die Treppe hinunterknarrten und verschwanden.
Sie sammelten Knochen in einem Sack, ausgekochte Suppenknochen und Knochen von einer Hausschlachtung, alle möglichen Arten einträglicher Knochen. Es gab nämlich Männer, die für alles bezahlten. Einer wollte, dass man ihm an den Schwanz langte, und ein Junge war so kühn und hatte eine Wurzelbürste in Bereitschaft, er wurde gelobt. Aber natürlich sind fünfundzwanzig Öre nun mal fünfundzwanzig Öre, also kann man Egel, Flaschen, Knochen und gelbe Bärlappsporen sammeln, aber genauso gut auch einen Mann so anlangen, dass er keucht. Das tut einem ja nichts.
Nein, es ist nicht möglich, das Leben der Kinder aus Pappkartons und dicken Büchern aufzusammeln, denn sie kommen dort nicht vor, sie sitzen unter Rhabarberblättern verborgen. Sie haben ihre eigene Welt mit Liedern und Reimen, nicht alle sind schön, aber lustig sind sie, wie »Lebe glücklich, werde alt, bis die Welt in Stücke knallt«. Es gibt Hexen mit Eckzähnen, so gelb wie Makkaroni, die ihnen Schreibschrift und Malnehmen beibringen, Trolle mit Moos in den Nasenlöchern und Kisten voll Geld, um sich dafür Geleehimbeeren und Negerküsse zu kaufen, die aber trotzdem Heringsklöße mit Korinthensoße essen. Da gibt es Prinzessinnen mit Pissflecken in der Unterhose und Prinzen, die nicht Schlittschuh laufen können. Die Kinder unter den Blättern und den Kronen von Doldengewächsen wissen vieles, was sie vergessen müssen, wenn für sie der Ernst des Lebens beginnt.
Es gibt rotznäsige Kinder und Kinder mit Skrofeln und Flicken hinten auf der Hose, aber es gibt auch feine Kinder, deren Leibchen im Rücken geknöpft werden, weil immer Leute zur Stelle sind, die ihnen beim Knöpfen helfen können. Wenn sie in die Schule kommen, werden sie natürlich ausgelacht. Feine Kinder haben richtige Puppenstuben, in die man hineinschauen kann, und keines der Kinder unter den Rhabarberblättern hat je so eines gesehen, aber sie haben davon gehört, weil sie Schwestern haben, die in den Räumen mit den kleinen Gebäuden, die Puppenhäuser genannt werden, den Fußboden putzen und Feuer machen.
Feine Kinder haben auch Läden mit richtigen Dosen und Geld in einem Kasten, aber solche Läden sind doch nur Quark gegen das, was die Mädchen auf dem Hof auf zwei Steinen und einem Brett ausbreiten und aufstapeln können: Ampfer, den man als Kaffee abstreift, kleine Erbsenschoten von Zaunwicken, Blumenbonbons und Kiesbonbons und Steinbonbons und Nudeln aus Löwenzahnstängeln.
In den Kindermägen
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