Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
bildete den Hintergrund zu Astrids Drama, ob sie es nun begriff oder nicht. Aus ihr war schwer klug zu werden. So wie jetzt, als wir am Couchtisch saßen und sie sich einen Gin Tonic gemixt hatte. Lillemor und ich tranken weiterhin Kondolenzsherry.
»Na«, sagte sie. »Wie fandest du den Gesang von Gunilla Lamberg?«
Erst in dem Moment ging mir auf, dass Kurts heimliche Liebe da auf der Empore gesungen hatte. Sie hatte es schwerlich ablehnen können, weil sie auch sonst immer bei Beerdigungen sang, und es hieß, sie und Kurt hätten sich kennengelernt, als alle Chöre der Gegend zusammengelegt wurden, um Der Gott in Verkleidung zu singen.
Lillemor sagte piepsig, es sei schön gewesen.
»Ja, das will ich meinen«, sagte Astrid. »Sehr gefühlvoll – nicht wahr?«
Es war eine Qual für Lillemor und sollte es wohl auch sein, denn Astrid hatte ja sonst niemanden mehr, an dem sie ihren Zorn auslassen konnte. Trotzdem war sie schwer zu begreifen. Psychologie ist ja das Thema der Klappermühlen. Doch ich bekenne mich nicht zum Glauben an diese Wissenschaft, ich weiß nicht mal, ob sie überhaupt interessant ist. Ich verstand auch nicht, warum Lillemor immer tat, was Astrid sagte. Auf ihr Geheiß hin schleppte sie jetzt Projektor, Leinwand und Kästen mit Dias an. Wir sollten Familienbilder sehen.
»Aber zuerst gibt es einen Imbiss«, sagte Astrid.
Der wurde im sogenannten Frühstücksraum aufgetragen, der Projektor kam auf den weißen Tisch, und die Leinwand wurde auf ihrem Stativ vor der Tür zum Esszimmer aufgebaut. Dann wurden die Vorhänge zugezogen. Es gab kaltes Hähnchen und Fleischklößchen, Räucherlachsscheiben und mehrere Sorten Käse, wovon einer schnell den kleinen warmen und dunklen Raum mit seinem strengen Geruch erfüllte. Astrid schenkte Schnaps ein, aber Lillemor trank ihren nicht. Sie hatte jedoch Verstand genug, ihn nicht rundheraus abzulehnen, weil sie dann zu hören bekommen hätte, dass sie eine Gans sei. Alkohol zu trinken und zu vertragen gehörte Astrid Trojs Meinung nach zum gesellschaftlichen Leben, und man sollte für einen gewissen, nicht unbeträchtlichen Verbrauch geradestehen können. Prost!
Dann begann die Vorführung. Astrid hatte Lachsfett und Käse an den Fingern, als sie die kleinen gerahmten Glasbilder aus den Kästen nahm, die mit HOLLANDREISE und LYSEKIL 1965 und dergleichen beschriftet waren. Auf den Bildern kamen nur sie und Kurt vor. Kurt lehnte in Badehosen an gestreiften Sonnenstühlen, betrachtete Tulpenfelder und war vor einer weißen Kirche überbelichtet. Astrid stand neben dem Amazon, neben einer mittelalterlichen Dorfpumpe in einer holländischen Stadt und auf dem Deck einer Autofähre. Ihr Haar war stets ordentlich. Kurt trug verschiedene Mützchen. Sie lächelten.
»Eine glückliche Ehe, nicht wahr?«, sagte Astrid.
Wir schwiegen, und ich glaube, ich grinste dämlich. Denn was soll man machen?
»Zumindest geglückt«, sagte sie und lachte so schrill, dass ich dachte, allmählich ist sie voll.
Die Bilder mit den fettigen Fingerabdrücken, die auf der Leinwand wie Ektoplasmen wirkten, wurden in einem reißenden Strom weitertransportiert. Lillemor war wie paralysiert. Plötzlich – und dieses Wort sollte in der Literatur eigentlich vermieden werden – stand sie auf.
Aber es geschah wirklich ohne Vorwarnung, und sie sagte mit dieser ängstlichen Piepstimme, aber trotzdem recht resolut: »Ich gehe jetzt zu Bett.«
»Und ich werde mich auf den Heimweg machen«, ergriff ich die Gelegenheit hinzuzufügen, noch bevor Astrid protestieren konnte. Und so schlich Lillemor davon. Wenn sie ein Hund gewesen wäre, hätte ihr der Schwanz zwischen den Beinen gezittert. Ich lief hinterher, doch an der Haustür holte Astrid mich ein und legte mir resolut den Arm um die Schultern.
»Wir zwei genehmigen uns noch einen Gin Tonic, komm«, sagte sie. »Wir haben doch das eine oder andere zu besprechen.«
Hin-und-her-Geschwatz. Gin und Tonic in hohen Kristallgläsern mit dickem Boden. Astrid leierte weiter. Sie wollte aber etwas, und darauf wartete ich, nicht ohne Unruhe.
Schließlich kam es. »Es läuft ja gut für dich und Lillemor.«
»Für Lillemor«, berichtigte ich.
»Na ja …«
Sie kicherte.
»Die Bücher schreibst doch du.«
Stellt euch diese Unverfrorenheit vor! Wie ein Spieß stracks durch den Leib. Und dazu dieses halb aufgelöste grinsende Gesicht. Der Geruch nach fauligem Blumenwasser (wir saßen jetzt im Wohnzimmer) und mittendrin frenetische
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