Schwingen des Vergessens
Amelie nicht. Doch es musste Lanicel gewesen sein, schließlich befand es sich in seinen Erinnerungen. Nachdenklich beobachtete sie weiter das Schauspiel, auch wenn es noch nicht interessant war. Auf der Straße war weit und breit nichts zu sehen, nur wenige Autos fuhren vorbei und wenn, dann auch nur mit einer hohen Geschwindigkeit. Der Bub stand starr auf der Bordsteinkante und wippte ungeduldig auf den Fußballen vor und zurück. Vor und wieder zurück. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Lanicel an dieser Erinnerung so schlimm finden würde, doch hoffentlich würde es ihn zumindest davon abhalten, ihr selbst einen weiteren Traum zu schicken.
Nun geriet Leben in die Szene, so lange man von Leben sprechen konnte. Ein Wagen raste auf den Jungen zu und kam kurz vor ihm zum Stehen. Amelie versuchte, zu erkennen, wer in dem Auto saß, doch die verdunkelten Fenster ließen keine Blicke zu. Nun öffnete sich die Tür, nur langsam, aber schon eindeutig fordernd. Lanicel, oder wie auch immer er früher geheißen hatte, sprang erschrocken zurück und stieß mit dem Rücken an dem Zaun an, der ein paar Meter neben der Straße mehrere Meter in die Höhe ragte. Wahrscheinlich befand sich dahinter ein Park oder etwas dergleichen. Nun berührten Füße den Boden, sie kamen aus dem Wagen und langsam schälte sich hinter der geöffneten Autotür ein Mann hervor. Sein Gesicht war verdeckt, er war vollkommen schwarz verkleidet. Wäre die Situation nicht ohnehin schon so seltsam, hätte wahrscheinlich niemand Verdacht geschöpft. Der Junge schrie nicht, er starrte nur mit einem Anflug von Angst im Gesicht auf die Person, die nun zielstrebig auf ihn zu schritt. Ohne ein einziges Wort riss der schwarze Mann den kleinen Bub an sich. Hielt ihm den Mund zu und nahm ihn mit in den Wagen. Noch immer tat Lanicel nichts, er schrie nicht, er weinte nicht, er wehrte sich nicht.
„Warum macht er denn nichts? Checkt er denn nicht, dass er in Gefahr ist?“, fragte Amelie sich nachdenklich und sah mitleidig zu, wie das Auto davon raste. Sofort schwenkte ihr eigenes Sichtfeld hinterher, dieser Traum war schon gruselig. Für Lanicel musste es allerdings wohl noch schlimmer sein, denn er hatte das schließlich ebenfalls noch nie gesehen. Außerdem hatte das Mädchen eine leise Vorahnung, worauf die Entführung hinaus laufen würde. Doch das wollte sie sich noch gar nicht vorstellen, früher oder später würde sie es ohnehin erfahren.
Nun befand sie sich im Inneren des Autos, am Steuer saß ein weiterer Mann, der allerdings in ganz normalen Klamotten steckte. Der andere hielt dem hilflosen Jungen eine Hand auf den Mund. Zwar schrie er nicht, doch anscheinend machte er das zur Sicherheit. Ganz klar, das war eine Entführung.
„Auf was wartest du?“
„Keine Ahnung, ich bin ja gerade erst eingestiegen. Sollten wir nicht noch etwas warten?“
„Nein, sollten wir nicht. Natürlich nicht. Ruf sie jetzt an.“
„Meinetwegen, aber sei du bitte leise. Bist du dir sicher, dass er redet?“
„Ja natürlich, sonst kannst du ja ruhig etwas nachhelfen. Beeile dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Der Fahrer seufzte genervt und gab nochmal richtig Gas. Sein Kollege nahm sein Handy zur Hand und drückte nur noch auf den „Anrufen“-Knopf, die Nummer war schon längst eingespeichert. Außer dem gleichmäßigen Piepsen des Telefons war ihm Auto nichts mehr zu hören, nur noch das Rumoren des Motors.
„Hallo? Wer spricht da?“, meldete sich eine weibliche Stimme, sie klang sehr gestresst.
„Das ist egal, im Grunde genommen geht es nur um eines.“ Ein Zögern.
„Und um was, wenn ich fragen darf?“
„Um ihren Sohn, wir haben ihn.“ Lange Zeit herrschte Stille, im Hintergrund war geschäftiges Treiben zu hören, denn wahrscheinlich befand sich die Frau irgendwo in der Öffentlichkeit. Amelie lauschte angespannt und warf zwischendurch ein paar Blicke auf den jungen Lanicel, der nervös hin und her blickte. Natürlich konnte sie sich nicht vorstellen, wie es war, entführt zu werden, aber es musste schrecklich sein. Armer Junge.
„Wer sind Sie?“
„Das ist egal. Wir verlangen 20000 Euro Lösegeld.“
„Was? Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“ Sie konnte es wohl nicht fassen, danach war nur noch ein leises Schluchzen zu hören.
„Ich habe gesagt, dass wir 20000 Euro Lösegeld verlangen, wenn Sie ihren Sohn heil wieder sehen wollen.“
„Das glaube ich Ihnen nicht, er muss schon längst in der Schule sein.“
„Ich kann es
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