Science Fiction Almanach 1981
sie unverblümt.
Wieder schüttelte er den Kopf. Sie hatte recht. Es gab keine Arbeit mehr, die getan werden mußte, weder in diesem unermeßlichen Forschungs-Labor noch in einem der anderen drei, die über die ganze Welt verstreut waren. Er war ein ausgebildeter, aufopferungsvoller Mann, der keinen Grund mehr zum Aufopfern hatte. Sie alle waren das: Doktoren wie Assistenten wie Techniker.
Außerhalb der schalldichten Mauern wimmelten die Menschen wie Bienen in ihren Zementkörben, reglementiert, gefesselt durch Ketten der Autorität, erstickt durch Bürokr a tie; sie bildeten sich ein, lebendig zu sein, und verlangten unentwegt nach seiner Hilfe. Sie waren eine Masse ausg e streckter Hände, bittender Hände, und er war ihnen immer entgegengekommen. Doch jetzt konnte er es nicht.
„Kommen Sie wenigstens in Ihr Büro“, redete Sue ihm zu. „Gehen Sie eine Weile von dem Käfig weg. Ich werde Ihnen schon nichts zu essen anbieten, aber Sie können sich hinsetzen.“
Er gab nach, bemerkte aber: „Ich glaube, heute würde es mir nichts ausmachen zu verhungern.“
Sie traten in sein Büro, das trotz seiner hohen Position sehr klein war; er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und legte den Kopf auf die Arme. Er spürte, daß Sue in seiner Nähe stand, aber er beachtete sie nicht.
Schließlich setzte auch sie sich.
„Ruhen Sie sich aus, Doktor. Ich habe irgendwie in der letzten Nacht fünf Stunden Schlaf bekommen – jetzt sehen Sie zu, daß auch Sie etwas schlafen, und ich werde mich um die stündliche Therapie kümmern.“
„Nein!“ Er stand schnell auf. „Nichts mehr davon. Keine weiteren Versuche, kein Warten mehr und keine Fehlschl ä ge. Lassen Sie die arme Kreatur in Ruhe, sie braucht nicht noch einen überflüssigen Injektionsstich.“
Sie sah ihn direkt an, doch in ihren Augen lag eine neue Weichheit. „Wie Sie wollen, natürlich. Und – Dai – ich stimme Ihnen zu. Barmherzigkeit ist jetzt wohl wirklich a n gebracht.“
Er hatte sich auf seiner Couch ausgestreckt und mit g e schlossenen Augen eine Stunde dagelegen, als sich die Tür öffnete und harte Schritte ihn hochrissen. Controller Sande r sons eindrucksvolle Gestalt stand gebieterisch in dem kle i nen Büro.
Controller Sanderson war der Mann, der Dais Laborator i um unmittelbar leitete, er gab die Anweisungen, setzte die Prioritäten und akzeptierte keinerlei Weigerungen. Als einer der mächtigsten Männer auf der zweiten Ebene im Sektor Erste Welt hatte Sanderson sich nur vor dem Gouverneurs-Ausschuß zu verantworten, und er spreizte sich dreist in se i ner Machtfülle. Dai erhob sich, die Gewohnheit richtete se i nen müden Körper aus Ehrerbietung vor der Autorität des Controllers auf.
Ohne ihm Gelegenheit zu einem „Guten Morgen“ zu g e ben, dröhnte Sanderson: „Sie sehen aus wie der letzte Au s wurf, Doktor! Sie schlafen bei der Arbeit, wenn gleich n e benan ein Notfall ist?“
„Ich schlafe überhaupt nicht – das ist eine bessere B e schreibung“, konterte Dai und war überrascht, daß er es ta t sächlich gewagt hatte, angesichts dieser Macht seine Me i nung zu sagen. Es war so leicht, als Abweichler abgeste m pelt und in ein politisches Gefängnis gepfercht zu werden. Kein Mensch erhob je seine Stimme im Angesicht der Aut o rität.
„Wie geht die Arbeit voran?“ fragte Sanderson fordernd. „Dieses neue Virus ist furchterregend – es bringt mehr Me n schen um, als einer von uns es sich vorstellen kann. Haben Sie bald ein Mittel dagegen? Oder wenigstens einen Imp f stoff?“
„Kaum. Nicht in nur zwei Wochen, Controller. Und jetzt – überhaupt nicht mehr.“
„Seit wann sagen Sie ‚überhaupt nicht mehr’ zu mir?“
„Seit diesem Augenblick. Ich brauche Tiere für die Exp e rimente, um dieses Virus zu isolieren. Tiere für die Bluttests, Tiere für die Operationen.“
„Und? Sie haben ein ganzes Gebäude voll von ihnen. Wenn Sie von den Spezies, die Sie benötigen, zu wenige haben, dann rufen Sie die Sektoren zwei, drei oder vier an, damit sie Ihnen sofort welche herschicken. Sie müssen sich in dieser Sache beeilen, Doktor! Die Leute fangen bald an, auf der Straße zu sterben.“
„Ich verstehe das, nur …“
„Keine Ausflüchte“, blies Sanderson sich auf. „Besorgen Sie sich die Tiere. Sie brauchen sich keine Sorgen um die Kosten zu machen; Sie wissen genau, daß die medizinische Forschung unser größter Haushaltsposten ist.“
Dai wußte das nur zu gut. Die Menschen wurden unen t wegt
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