Scriptum
einem letzten, hasserfüllten Blick auf Molay stürmte er hinaus.
Sein Gefolge beeilte sich, ihm zu folgen.
Ganz kurz, ehe Clemens sich umdrehen und ebenfalls aus der Zelle flüchten konnte, trafen sich die Blicke des Papstes und Molays.
Der Augenblick genügte Molay, um die Gedankendes schmächtigen Mannes zu erraten, ihn komplett zu durchschauen: als intriganten Opportunisten, der den habgierigen König
für seine eigenen Zwecke eingespannt hatte. Für die Zwecke der Kirche.
Und dieser hinterlistige Ränkeschmied hatte über ihn triumphiert.
Aber Molay mochte ihm nicht die Genugtuung gewähren, sich dieses Triumphes so sicher zu sein. Also raffte er alle ihm noch
verbliebene Kraft zusammen und bündelte sie zu einem stolzen, herausfordernden Blick, mit dem er seinen Widersacher förmlich
durchbohrte. Kurz huschte ein Ausdruck der Furcht über die tief eingegrabenen Züge des Papstes, bevor er hastig eine strenge,
unnahbare Miene aufsetzte und seine Kapuze hochschlug.
Die rissigen Lippen des Großmeisters verzogen sich zu einer Grimasse, die früher einmal ein Lächeln gewesen wäre. Weil er
wusste, dass es ihm gelungen war, die Selbstgewissheit des kleinen Mannes ins Wanken zu bringen.
Auch eine Art Sieg.
Der Papst würde heute Nacht nicht gut schlafen.
Diese Schlacht habt ihr vielleicht gewonnen, dachte Molay. Aber unser Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Und mit diesem Gedanken
schloss er die Augen und machte sich innerlich bereit für den Tod, der ihn erwartete.
KAPITEL 21
Reilly fühlte sich hin und her gerissen. So gern er hier mit Tess zusammensaß, die Relevanz all dessen, was sie ihm so ausführlich
erzählt hatte, wollte ihm nicht einleuchten. Eine Gruppe selbstloser Ritter mausert sich zu einer Supermacht des Mittelalters,
nur um dann die Flügel gestutzt zu bekommen und in Schimpf und Schande in den Annalen der Geschichte zu verschwinden. Was
hatte das mit einer Bande bewaffneter Räuber zu tun, die siebenhundert Jahre später ein Museum verwüstete?
«Sie meinen also, die Typen in dem Museum trugen Templertracht?», fragte er.
«Ja. Die Templertracht war sehr schlicht, ganz anders als die prunkvolle Aufmachung anderer Ritter jener Zeit. Vergessen Sie
nicht, das waren Rittermönche, die sich der Armut verschrieben hatten. Die weißen Gewänder symbolisierten die Reinheit der
Lebensführung, die von ihnen erwartet wurde, und die roten Kreuze, rot wie Blut, kündeten von ihrer besonderen Beziehung zur
Kirche.»
«Schon klar, aber wenn Sie mich auffordern würden, einen Ritter zu zeichnen, würde ich vermutlich eine sehr ähnliche Gestalt
fabrizieren, ohne bewusst an die Templer zu denken. Ihr Erscheinungsbild hat sich verselbständigt, oder?»
Tess nickte. «Für sich genommen, da stimme ich Ihnenvollauf zu, ist das nicht schlüssig. Wäre da nicht noch die Chiffriermaschine.»
«Der Gegenstand, den der vierte Reiter an sich genommen hat. In Ihrer unmittelbaren Nähe.»
Tess rückte näher, sichtlich aufgeregt jetzt. «Ja. Ich habe mich kundig gemacht. Ein Gerät, das technisch weit fortgeschrittener
war als alles, was in den folgenden Jahrhunderten entwickelt wurde. Geradezu revolutionär. Und die Templer waren als Meister
der Kryptographie bekannt. Ihr gesamtes Bankwesen beruhte auf Verschlüsselung. Wenn Pilger vor ihrer Abreise ins Heilige Land
Geld bei ihnen hinterlegten, erhielten sie chiffrierte Quittungen, die nur von anderen Templern entschlüsselt werden konnten.
Ein Betrug mit gefälschten Einzahlungsbelegen war also unmöglich. Sie waren Pioniere auf dem Gebiet, und diese Chiffriermaschine
passt perfekt zu ihren raffinierten, streng geheimen Methoden.»
«Aber wie konnte eine Chiffriermaschine der Templer unter die Schätze des Vatikans geraten?»
«Weil der Vatikan und der König von Frankreich sich miteinander verschworen hatten, um den Orden zu Fall zu bringen. Beide
hatten es auf den Reichtum der Templer abgesehen. Was den Schluss nahe legt, dass sämtliche Besitztümer des Ordens entweder
im Louvre oder im Vatikan gelandet sind.»
Reilly schien nicht ganz überzeugt. «Sie erwähnten etwas von einem lateinischen Sprichwort?»
Tess nickte lebhaft. «Das hat überhaupt erst meine Neugier geweckt. Als der vierte Reiter das Gerät in den Händen hielt, schien
das für ihn so eine Art religiöser Moment zu sein. Als wäre er in Trance. Und während er es hochhielt, sagte er etwas auf
Lateinisch. Ich glaube, es war ‹Veritas
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