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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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sie zu verlassen. Aber eine Woche der Trennung würde ihnen guttun, hatte sie gesagt. Damals hatte es auch Prioritäten gegeben, und sie hatte verstanden. Vielleicht besser als er. Denn auch sie besuchte ihre Eltern an diesem Goldenen Huppeltag. Sie besuchte sie oft, es war nur eine Stunde mit dem Auto, und morgen würde sie wieder in der Stadt sein.
    Emsige Emma. Emma an seinem Tisch. Emma in seinem Haus, in seinem Bett, und er in ihrem. Eine wechselseitige Bedeutung. Aber sie nahm es leicht – es gab andere Tische, andere Häuser, andere Betten. Mit der Zeit sogar andere Bedeutungen. Gleichwohl war es ihn hart angekommen, sie zu verlassen.
    Am alten Schuppen der Küstenwache bog er ab und ging die sandüberwehte Straße, die sich zwischen den Bäumen zu der Schulman-Villa hinaufwand. Grace lehrte Französisch im staatlichen Programm. Emma war Ärztin. Vorwärtsstrebende Leute, verständig und ausgeglichen. Er dachte an Millie Carter. Und an seine Mutter. Was, fragte er sich, war an Millie Carter oder seiner Mutter vorwärtsstrebend? Zugegeben, ihr Leben neigte sich dem Ende zu. Aber nichts, das wußte er genau, war an Millie Carter oder seiner Mutter jemals vorwärtsstrebend gewesen. Deshalb waren sie mit Gaston oder Scudder sitzengeblieben. Und das war sicherlich die niederträchtigste Reduktion von allem.
    Er betrat das Haus, blieb stehen und lauschte. Das Gemurmel entfernter Stimmen drang an sein Ohr: die Stimmen seines Vaters und zweier anderer, eines Mannes und einer Frau. Er stieg die Treppe hinauf. Oben auf der durchsonnten Galerie waren die Stimmen lauter hörbar, die Worte noch unverständlich, aber der Tonfall hastig und dringend. Sie schienen aus einem Raum am Ende des zur Rechten abzweigenden Korridors zu kommen.
    Pete stand still, eine Hand auf dem Treppengeländer. »Scudder?« rief er. »Scudder?«
    Die Stimmen verstummten augenblicklich. Durch die offenen Fenster der Galerie hörte er nur noch Möwengeschrei und das leise Rauschen der Brandung. Rasch ging er zu der Tür am Ende des Korridors. Hinter ihr war alles still. Er klopfte, ein Sohn, ein Fremder in seines Vaters Haus.
    »Bist du’s?«
    Er hatte bereits gerufen und wußte, daß er gehört worden war. »Darf ich eintreten?«
    Er hörte Bewegung, dann wurde die Tür aufgesperrt. Aufgesperrt?
    »Dieses gottverdammte Hummerpicknick«, sagte sein Vater. »Dachte mir, ich könnte mit der Arbeit vorankommen.«
    Pete trat an ihm vorbei in den Raum. Früher einmal war es ein Kinderzimmer gewesen. Nun waren davon nur die Gitterstäbe an den Fenstern geblieben. Und die Tierbilder an den Wänden, und ein betagtes 3D-Videospiel in einer Ecke. Der Rest war die Werkstatt seines Vaters: aufgeräumte Arbeitstische, Reihen von Prüfgeräten, Ersatzteile in säuberlichen Reihen, ein Schreibtisch mit einer Lampe und einem Drehstuhl, Wartungs- und Ersatzteilhandbücher, ein Datenanschluß mit Ausdruckstation, und eine umfangreiche Anordnung von Bildschirmen, alle ausgeschaltet.
    Auf dem Schreibtisch sah Pete eine offene Mappe liegen, eine Seite, die zur Hälfte mit der schwerfälligen Handschrift seines Vater bedeckt war, einen Füllhalter mit abgeschraubter Kappe, der darauf lag.
    »Ich wollte dich nicht stören.«
    »Du hast mich nicht gestört. Da ist nichts, was nicht warten könnte.«
    »Aber du hast sie unterbrochen.«
    »Wen unterbrochen?« Auch sein Vater hatte die offene Mappe gesehen. Ruhig setzte er sich an den Schreibtisch, schraubte die Füllhalterkappe auf. »Wen unterbrochen?« Mit einer selbstverständlichen Bewegung schloß er die Mappe und schob sie zur Seite. Unter zusammengezogenen, beinahe haarlosen Brauen fixierte er Pete mit einem unverwandten kalten Blick. »Wen unterbrochen?«
    Pete sah, daß Scudder die Stimmen leugnen würde, wenn er ihn drängte. Und er wollte ihn nicht in die Enge treiben. Außerdem ging es ihn nichts an. Wenn Scudder seine Geheimnisse wollte, konnte er sie haben.
    »Reg dich nicht auf! Mir ist bloß eingefallen, daß es nach vier ist. Du hättest gerade auf diesen Notruf antworten können, den du bekommen hast.«
    »Der? Das war rasch erledigt. Hatte nichts zu bedeuten – wie ich dir sagte.«
    »Das freut mich.«
    Scudder entspannte sich. »Wie kommt es, daß du mir die Ehre erweist?«
    »Ich sah dich weggehen und dachte, daß ich mich dir anschließen könnte. Es macht dir nichts aus?«
    »Nicht, wenn du dich benimmst. Deine Mutter laß ich hier nicht rein – sie wirbelt schon Staub auf, wenn sie nur

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