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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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bezahlt. Niemand kann entkommen. Ich habe gedacht, ich wäre sicher. Der Wolf war eine Macht aus sich selbst heraus, die sich streckte, erwachte. Zu ihm bin ich geflohen.
    Doch der Wolf hat sich den falschen Mann, den falschen Körper ausgesucht. Als er herabgekommen ist, um mir mein Auge zu nehmen – jener graue, brennende Blitz, den ich für einen Stein gehalten hatte –, war ich unversehrt, jung, gesund.
    Jetzt jedoch hat mich die Matrone. Alte Haut, die sich von ihren gewaltigen Armen ablöst, der Geruch verlassener Schlangengruben. Das Zucken ihrer Umarmung – und Knochen brechen, brechen und brechen wieder. Da war so viel Schmerz, sein Donnern nimmt in letzter Zeit kein Ende mehr. Ich habe ihre Panik gespürt, wie es der Seher gesagt hat. Das ist es, was mir den Verstand geraubt hat. Das ist es, was mich zerstört hat.
    Es wäre besser, ich wäre zerstört geblieben. Es wäre besser, meine Erinnerungen wären nie zurückgekehrt. Wissen ist kein Geschenk.
    Zum Bewusstsein verflucht. So liege ich hier auf diesem kalten Fußboden, die sanft über mich hinwegflutenden Wogen des Schmerzes weichen zurück – ich kann meine Beine nicht mehr spüren. Ich rieche Salz. Staub und Moder. Auf meiner linken Hand ist Gewicht. Sie ist unter mir eingeklemmt und wird allmählich taub.
    Ich wünschte, ich könnte mich bewegen.
    »… Leichen einsalzen. Es besteht kein Mangel. Der Skorbut hat so viele von den Tenescowri dahingerafft, dass unsere Truppen nur noch die Leichen einsammeln können, Heiliger.«
    »Weltliche Krankheiten werden die Soldaten nicht befallen, Ultentha. Das habe ich in einem Traum gesehen. Die Herrin ist inmitten der Tenescowri gewandelt, und siehe, ihre Leiber sind angeschwollen, ihre Finger und Zehen verfault und schwarz geworden, ihre Zähne in Strömen von rotem Speichel ausgefallen. Doch als sie zu meinen auserwählten Kriegern kam, habe ich sie lächeln gesehen. Und sie hat sich abgewendet.«
    »Heiliger«, fragte der Domänenser, »warum sollte Poliel unsere Sache segnen?«
    »Ich weiß es nicht, und es kümmert mich auch nicht. Vielleicht hat sie eine eigene Vision vom Glanz unseres Triumphs gehabt, vielleicht bittet sie auch einfach nur um einen Gefallen. Unsere Soldaten werden gesund sein. Und wenn die Invasoren erst einmal vernichtet sind, können wir unseren Marsch von Neuem beginnen, zu neuen Städten, neuen Ländern, und dort von der Beute fett werden.«
    Die Invasoren … darunter meine Kameraden. Ich war Toc der Jüngere, ein Malazaner. Und die Malazaner kommen.
    Das Lachen, das tief in seiner Kehle aufstieg, begann sehr sanft, ein perlender Laut, der stärker wurde, als er andauerte.
    Die Unterhaltung verstummte. Das Geräusch, das er von sich gab, war jetzt das einzige im Raum.
    Die Stimme des Sehers erklang direkt über ihm. »Und was erheitert dich so sehr, Toc der Jüngere? Kannst du sprechen? Ach, habe ich dich das nicht schon einmal gefragt?«
    Toc stieß pfeifend die Luft aus und antwortete: »Ich spreche. Aber Ihr hört mich nicht. Ihr hört mich niemals.«
    »Tatsächlich?«
    »Einarms Heerhaufen, Seher. Die tödlichste Armee, die das malazanische Imperium jemals hervorgebracht hat. Sie kommt, um dich zu holen.«
    »Und ich sollte zittern?«
    Toc lachte erneut. »Tut, was Ihr wollt. Aber Eure Mutter weiß Bescheid.«
    »Du glaubst, sie fürchtet deine dummen Soldaten? Ich vergebe dir deine Unwissenheit, Toc der Jüngere. Die liebe Mutter, das sollte ich dir vielleicht erklären, leidet unter einer uralten … schrecklichen Furcht. Mondbrut. Aber lass es mich dir etwas genauer erklären, um weitere Missverständnisse zu vermeiden. Mondbrut ist jetzt das Heim der Tiste Andii und ihres schrecklichen Lords, aber sie sind wie Eidechsen in einem verlassenen Tempel. Sie hausen dort, ohne die Großartigkeit zu erkennen, die sie umgibt. Die liebe Mutter hat leider keinen Blick mehr für derartige Kleinigkeiten. Sie ist in letzter Zeit kaum noch mehr als Instinkt, das arme, hirnlose Ding.
    Die Jaghut erinnern sich an Mondbrut. Ich allein bin im Besitz der entscheidenden Schriftrollen von Gothos’ Wahnsinn, die von den K’Chain Nah’rhuk flüstern – den Kurzschwänzen, den missratenen Kindern der Matronen –, die Mechanismen erschaffen haben, welche Zauberei auf eine lang vergessene Weise gebunden haben, die riesige, schwebende Festungen gebaut haben, von denen aus sie vernichtende Angriffe auf ihre langschwänzigen Verwandten unternommen haben.
    Oh, am Ende haben sie verloren. Wurden

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