SdG 07 - Das Haus der Ketten
habe. Vielleicht war er nicht mehr hier, aber vor nicht allzu langer Zeit musste er hier gewesen sein. Die Chance, seine Spur zu finden …
Die Königin der Träume hatte gesagt, dass Osric verschwunden war. Was bedeutete das? Wie? Warum? Er hungerte nach Antworten auf solche Fragen.
Kurald Thyrllan war aus Gewalt geboren worden, aus dem Zerschmettern der Dunkelheit. Das Ältere Gewirr hatte sich seither in viele Richtungen verzweigt, war sogar als Thyr in die Reichweite sterblicher Menschen gelangt. Und zuvor schon in Gestalt des Leben spendenden Feuers – als Tellann.
Hier, im Reich der Sieben Städte, war Tellann eine machtvolle Präsenz, vielleicht verborgen und tief vergraben, aber doch überall vorhanden. Wohingegen Kurald Thyrllan durch das Zerbrechen seines Schwestergewirrs verzerrt worden und unter Druck geraten war. Es führten keine leichten Wege durch Thyrllan, wie er sehr wohl wusste.
Also gut. Dann werde ich Teilann ausprobieren.
Er seufzte und stand langsam auf. Es gab natürlich jede Menge Risiken. Mit der ausgeblichenen Telaba in einer Armbeuge trat er an die Truhe neben seiner Schlafstatt. Er hockte sich hin, strich mit der Hand darüber, um zeitweise die Schutzzauber aufzuheben, und lüftete dann den Deckel.
Eine Liosan-Rüstung, das weiße Emaille von Furchen durchzogen und zerkratzt. Ein Helm mit Visier aus dem gleichen Material, das lederne Untermaterial über den Augen und den Wangen von einem Gespinst aus schwarzem Kettengeflecht überzogen. Ein leichtes Langschwert mit schmaler Klinge und langer, sich verjüngender Spitze in einer hellen Holzscheide.
Er legte die Rüstung mitsamt dem Helm an, schlüpfte dann in seine Telaba und zog sich die Kapuze über den Kopf. Lederne Handschuhe und Schwert und Schwertgürtel folgten.
Dann hielt er inne.
Er verachtete das Kämpfen. Ganz im Gegensatz zu seinen Verwandten waren ihm harte Urteile ebenso zuwider wie die Durchsetzung einer brutalen Weltsicht, die keine Mehrdeutigkeit zuließ. Er glaubte nicht, dass Ordnung mit der Schwertklinge erschaffen werden konnte. Endgültigkeit, ja, aber eine Endgültigkeit, die von Schwächen befleckt war.
Notwendigkeit hatte einen höchst bitteren Geschmack, doch er sah keine andere Möglichkeit und würde ihn somit ertragen müssen.
Wieder einmal würde er sich hinauswagen und durch das Lager schreiten müssen, und er würde seine Macht dabei so behutsam einsetzen müssen, dass er für die Sterblichen unsichtbar blieb, aber auf keinen Fall die Aufmerksamkeit der Göttin erregte. Ihre ungezügelte Wut war seine größte Verbündete, und er würde einfach darauf vertrauen müssen.
Er machte sich auf den Weg.
Es war noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang und die Sonne ein karmesinroter Schimmer hinter dem Schleier aus schwebendem Sand, als L’oric die Lichtung des Toblakai erreichte. Er fand Felisin schlafend unter dem Sonnensegel, das sie zwischen drei Stangen gegenüber den behauenen Bäumen aufgespannt hatten, und er kam zu dem Schluss, dass er sie schlafen lassen würde. Stattdessen schritt er nach einem kurzen, nachdenklichen Blick quer über die Lichtung auf die beiden Teblor-Statuen zu und stellte sich vor den sieben Steingesichtern auf.
Selbst wenn ihre Geister tatsächlich jemals hier gewesen sein sollten, dann waren sie nun längst fort. Diese geheimnisvollen T’lan Imass, die Toblakais Götter waren. Und die Weihe war ihnen entrungen worden, so dass dieser Ort nun jemand anderem geweiht war. Doch ein Spalt war noch da, vielleicht die Spur eines kurzen Besuchs. Er hoffte, dass dieser Spalt ausreichen würde, um sich einen Weg in das Tellann-Gewirr zu bahnen.
Er rief magische Energien herbei, zwang seinen Willen in den Spalt, weitete ihn, bis er hindurchtreten konnte -
Auf den schlammigen Strand am Ufer eines riesigen Sees. Seine Stiefel sanken bis zu den Knöcheln ein. Ganze Wolken von Insekten stiegen von der Uferlinie auf und schwärmten um ihn herum. L’oric blieb stehen, starrte zu einem bedeckten Himmel hoch. Die Luft war schwül – es war später Frühling.
Ich bin am falschen Ort … oder in der falschen Zeit. Dies sind die ältesten Erinnerungen der Raraku.
Er wandte sich dem Land zu. Ein Sumpf erstreckte sich über weitere zwanzig Schritt, mit Schilf bewachsen, das im sanften Wind hin und her wogte, dann stieg das Gelände sanft zu einer Savanne an. Eine Kette niedriger, dunkler Hügel zeichnete sich am Horizont ab. Im Grasland erhoben sich ein paar majestätische Bäume,
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