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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Aber das ist die andere Sache, was es mit Gewirren auf sich hat. Sie können Sphären sein, ganze Welten. Tretet hindurch, und Ihr könnt Euch in einem Land mit zehn Monden am Himmel wiederfinden, und mit Sternbildern, die Ihr noch nie zuvor gesehen habt. Orte mit zwei Sonnen. Oder Orte, die von den Geistern der Toten erfüllt sind – doch wenn Ihr durch das Tor in die Sphäre des Vermummten tretet, kommt Ihr nicht mehr zurück. Oder genauer, Ihr solltet es eigentlich nicht. Wie auch immer, ein Magier findet ein Gewirr, das zu seiner Natur passt – oder zu ihrer, wenn es sich um eine Zauberin handelt; es ist eine natürliche Affinität, wenn man so will. Und wenn man genügend lernt und diszipliniert genug ist, findet man Möglichkeiten, um hineinzugreifen, die Kräfte in seinem Innern zu nutzen. Manche Leute werden natürlich auch mit einem natürlichen Talent geboren, was bedeutet, dass sie nicht ganz so hart arbeiten müssen.«
    »Dann greift Ihr also in dieses Mockra-Gewirr, und dadurch kommt Ihr in den Geist anderer Leute.«
    »So ähnlich, Schätzchen. Ich mache von Neigungen Gebrauch. Ich mache das Wasser trübe oder fülle es mit Furcht erregenden Schatten. Der Körper des Opfers tut den Rest.«
    »Der Körper? Wie meint Ihr das?«
    »Sagen wir mal, Ihr schlachtet zwei Kühe. Eine davon tötet Ihr schnell, ohne dass das Tier überhaupt richtig mitbekommt, was gleich geschehen wird. Die andere, nun, die treibt Ihr einen Pfad entlang zu einem Ort, an dem der Gestank des Todes in der Luft liegt, und von allen Seiten dringen die Todesschreie anderer Tiere heran. Bis die Kuh, so dumm sie auch sein mag, schließlich weiß, was auf sie zukommt. Und voller Angst ist. Dann tötet Ihr sie. Und nun schneidet einen Streifen aus jeder Brust. Schmecken sie gleich?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Nein, sie schmecken nicht gleich. Weil sich das Blut der Kuh, die sich gefürchtet hat, mit bitteren Flüssigkeiten gefüllt hat. Das ist es, was die Angst tut. Sie erzeugt bittere, schädliche Flüssigkeiten. Die das Fleisch ungenießbar machen. Worauf ich hinauswill: Wenn man den Geist dazu bringt, auf unsichtbare Ängste zu reagieren, auf unbegründete Vermutungen, wird das Blut faul, und diese Fäulnis macht die Furcht noch schlimmer und verwandelt jede Vermutung in eine Gewissheit.«
    »Als wäre das Schlachthaus für die zweite Kuh nur eine Illusion gewesen, während sie in Wirklichkeit einen Streifen Weideland überquert hat.«
    »Genau.«
    Seren schwieg und musterte den Rücken von Eisenhart, der ein Stück vor ihr ritt.
    »In Ordnung«, sagte Corlo nach einiger Zeit, »und jetzt sagt mir, worauf Ihr wirklich hinauswollt, Schätzchen.«
    Sie zögerte kurz, ehe sie fragte: »Corlo, könnt Ihr irgendetwas mit Erinnerungen machen?« Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Könnt Ihr sie wegnehmen?«
    Vor ihnen drehte Eisenhart sich halb im Sattel um; er musterte Seren einen Augenblick lang, ehe er sich wieder richtig hinsetzte.
    »Oh«, sagte Corlo leise. »Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr das wollt?«
    »Könnt Ihr es?«
    »Ich kann Euch blind und gefühllos gegenüber diesen Erinnerungen machen, aber es liegt in Euch, dass Ihr dann anfangen werdet, Euch Sorgen um die seltsame Leere in Eurem Innern zu machen. Als wärt Ihr immer kurz davor, etwas zu erkennen, es aber niemals zu fassen bekommt. Es könnte Euch in den Wahnsinn treiben, Freisprecherin. Außerdem – der Körper erinnert sich. Ihr werdet auf Dinge reagieren, die Ihr seht, riecht und schmeckt, und Ihr werdet nicht wissen, warum. Es wird an Euch nagen. Eure ganze Persönlichkeit wird sich verändern.«
    »Ihr habt so etwas schon früher gemacht, stimmt’s?«
    Er nickte. Und fügte dann zögernd hinzu: »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, Schätzchen.«
    »Was für eine?«
    »Das, was schmerzt, sind nicht die Erinnerungen, Freisprecherin. Es ist das Gefühl, das Ihr ihretwegen habt. Es ist Euer jetziges Ich, das sich mit dem Ich von damals bekriegt. Ich kann es nicht besser erklären –«
    »Schon gut, ich verstehe Euch.«
    »Nun, ich kann dafür sorgen, dass sich Euer Gefühl im Hinblick auf diesen Sachverhalt … ändert.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ich könnte den Krieg in Eurem Innern beenden.«
    »Was würde ich spüren, Corlo?«
    »Ich könnte dafür sorgen, dass Ihr es herausweint. Dass Ihr alles herausweint, Seren.« Er blickte ihr in die Augen. »Und wenn das geschehen ist, werdet Ihr Euch besser fühlen. Nicht viel besser, aber ein bisschen. Ihr

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