SdG 09 - Gezeiten der Nacht
Hejun. »Respekt. Wie könnte man etwas anderes als Respekt vor Ublalas –«
»Seht Ihr?«, schnitt Tehol ihr das Wort ab und hob theatralisch die Arme. »Ihr treibt mich noch zur Verzweiflung!«
»Dann seid Ihr hier in guter Gesellschaft«, sagte Shand.
»Er hätte Euer Leibwächter sein sollen. Das war der Plan. Stattdessen habt Ihr ihn missbraucht –«
»Nein, das haben wir nicht!«, schnappte Hejun. »Oder … nur ein bisschen. Aber auf alle Fälle immer nur zum Spaß.«
»Und jetzt muss ich Euch einen neuen Leibwächter suchen.«
»Oh, nein, das müsst Ihr nicht«, sagte Shand und richtete sich ein wenig auf. »Denkt nicht einmal daran. Wir sind genug verleitet worden –«
Tehol zog die Brauen hoch. »Jedenfalls hat Ublala nun jemanden gefunden, der sich sehr viel aus ihm macht –«
»Ihr Idiot. Sie ist tot. Sie ist nicht fähig, sich etwas aus ihm zu machen.«
»Das stimmt nicht. Oder, genauer, in ihr ist etwas, das sich sehr wohl etwas aus ihm macht. Sogar sehr viel. Worauf ich hinauswollte: Es ist an der Zeit, über die Sache hinwegzukommen. Es gibt noch viel zu tun.«
»Wir haben versucht, die Liste abzuarbeiten, die Ihr uns gegeben habt. Die Hälfte dieser Unternehmen existiert nicht einmal. Ihr habt uns reingelegt, Tehol. Inzwischen glauben wir, dass diese ganze Sache eine Lüge ist.«
»Was für eine absurde Unterstellung. Zugegeben, ich habe die Liste ein bisschen ausgepolstert, aber nur, weil es aussah, als brauchtet Ihr ganz dringend etwas zu tun. Davon einmal abgesehen – Ihr seid jetzt reich, oder? Ihr besitzt mehr Reichtümer, als Ihr es Euch in Euren wildesten Träumen hättet vorstellen können. Meine Investitionsvorschläge waren bislang perfekt. Von wie vielen Geldverleihinstituten besitzt Ihr jetzt Anteile?«
»Von allen großen«, gab Shand zu. »Aber nicht genug, um sie kontrollieren zu können –«
»Falsch. Vierzig Prozent reichen aus, und die habt Ihr.«
»Wie können vierzig Prozent ausreichen?«
»Weil ich selbst auch noch über zwanzig Prozent verfüge. Und wenn nicht ich, dann meine Agenten, darunter auch Bagg. Meine teuren Damen, wir sind sozusagen bereit, an der Burse das Chaos zu entfesseln.«
Er sah, dass er jetzt ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Selbst Rissarh setzte sich auf. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, Augen, in denen der erste Schimmer des Begreifens dämmerte. »Wann?«, fragte Hejun.
»Oh. Nun ja. Das ist eine ganz andere Sache. Es gibt Neuigkeiten, die Ihr auch schon längst wüsstet, wenn sich auch nur eine von Euch in einem normalen Zustand befunden hätte. Es hat den Anschein, meine süßen Freundinnen, als befinde Lether sich im Krieg.«
»Mit den Tiste Edur?«
»In der Tat.«
»Perfekt!«, bellte Shand und hämmerte mit der Faust auf die Tischplatte. »Wenn wir jetzt zuschlagen, wird alles zusammenbrechen!«
»Das ist sehr wahrscheinlich«, sagte Tehol. »Und es wäre außerdem katastrophal. Wollt Ihr, dass die Edur einmarschieren und alles niederbrennen?«
»Warum nicht? Es ist doch sowieso alles korrupt!«
»Weil es zwar übel ist, Shand – und wir sind uns alle einig, dass es übel ist –, die Dinge aber auch noch viel übler werden könnten. Zum Beispiel, wenn die Tiste Edur diesen Krieg gewinnen.«
»Macht mal halblang, Tehol! Der Plan war, alles zum Zusammenbruch zu bringen! Und jetzt macht Ihr plötzlich einen Rückzieher. Ihr müsst ein Narr sein, wenn Ihr glaubt, die Edur könnten diesen Krieg ohne unsere Hilfe gewinnen. Niemand gewinnt gegen Lether. Niemand hat je gewonnen, niemand wird je gewinnen. Aber wenn wir jetzt zuschlagen …«
»Alles schön und gut, Shand. Ich persönlich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass die Edur sich als ideale Eroberer erweisen werden. Wie ich schon gesagt habe – was sollte sie daran hindern, alle Letherii über die Klinge springen zu lassen – oder zu versklaven? Was sollte sie daran hindern, jede Stadt, jede Ortschaft, jedes Dorf dem Erdboden gleichzumachen? Es ist eine Sache, ein Wirtschaftssystem zum Zusammenbruch zu bringen und so irgendeine Art von Neugestaltung in die Wege zu leiten, eine Neuordnung von Werten und all so was. Aber es ist eine ganz andere Sache, etwas zu tun, das die Letherii in Gefahr bringt, Opfer eines Völkermords zu werden.«
»Warum?«, wollte Rissarh wissen. »Schließlich haben sie nicht gezögert, ihrerseits Völkermord zu begehen, oder? Wie viele Dörfer der Tarthenal haben sie niedergebrannt? Wie viele Kinder der Nerek und der Faraed wurden
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