Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
mutlos. »Gar nichts.«
»Also, ich will hier raus und an die Arbeit.« Michelle versuchte erneut aufzustehen.
»Sie bleiben gefälligst hier im Bett und erholen sich.«
»Das können Sie nicht von mir verlangen, das ist unmöglich!«, schrie sie ihn wütend an.
»Das kann ich verlangen, weil es vernünftig ist! Wenn Sie hier die Flatter machen, so zerschlagen und durcheinander, wie Sie sind, fallen Sie am Steuer womöglich in Ohnmacht und bringen sich um und andere Leute vielleicht auch noch. Daran kann ich nichts Positives erkennen. Vergessen Sie nicht, dass das schon Ihr zweiter Krankenhausaufenthalt innerhalb weniger Tage ist. Beim dritten Mal kann’s auch das Leichenschauhaus sein!«
Michelle sah aus, als wolle sie lauthals protestieren, doch dann lehnte sie sich nur zurück. »Okay, diese Runde gewinnen Sie. Aber Sie rufen mich an, sobald sich etwas ergibt. Tun Sie ’s nicht, dann jage ich Sie, bis ich Sie erwischt habe, und das wird garantiert kein Spaß.«
Parks hob die Hände in gespieltem Protest. »Okay, okay, ich brauch keine neuen Feinde, ich hab schon genug.« Er erhob sich. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Die Chance, dass wir Sean King wiedersehen, ist verschwindend gering. Aber solange es diese Chance noch gibt, werde ich kein Auge zutun.«
Michelle brachte ein Lächeln zuwege. »Okay. Vielen Dank.«
Fünf Minuten später warf sie hastig ihre Kleider über, schlich sich an den Schwestern vorbei und entfloh dem Krankenhaus durch einen Hinterausgang.
KAPITEL 67
Als King erwachte, war es vollkommen dunkel. Und es war kühl hier – wo immer es sein mochte. Allerdings glaubte er zu ahnen, wo er sich befand, und es gab Anhaltspunkte, die seinen Verdacht zu bestätigen schienen. Er holte tief Luft und versuchte sich aufzusetzen. Es war wie vermutet: Er konnte es nicht. Er war festgebunden, mit Lederbändern, wie es sich anfühlte. Er drehte den Kopf hin und her, wollte seine Augen an die Schwärze gewöhnen, doch es gab nirgendwo Licht, er sah absolut nichts. Er hätte ebenso gut mitten im Ozean treiben können.
Er horchte auf, als von irgendwoher ein Gemurmel an sein Ohr drang; es war so leise, dass er nicht einmal hätte sagen können, ob es von Menschen stammte. Dann vernahm er Schritte, die auf ihn zukamen. Sekunden später spürte er, dass er nicht mehr allein war. Jemand stand neben ihm. Dann fühlte er eine Berührung an der Schulter, sanft, keineswegs bedrohlich. Doch aus der Berührung wurde allmählich eine Umklammerung. Der Druck verstärkte sich, und als ihn etwas in die Haut stach, biss sich King auf die Unterlippe, fest entschlossen, nicht vor Schmerz aufzuschreien.
Schließlich gelang es ihm, ganz ruhig zu sagen: »Es wird dir ohnehin nicht gelingen, mich mit bloßen Händen totzuquetschen, also verpiss dich!«
Sofort hörte der Druck auf, und die Schritte entfernten sich. King spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Kurze Zeit später begann er zu frieren, und ihm war speiübel. Sie mussten ihm irgendwas gespritzt haben. Er drehte den Kopf zur Seite und übergab sich.
Das Kotzen hatte zumindest den Vorteil, dass er sich wieder lebendig fühlte. »Tut mir Leid wegen des Teppichs«, murmelte er, schloss die Augen und schlummerte allmählich ein.
Michelles erstes Ziel war die Ruine von Kings Haus. Während sie durch den Schutt watete, inspizierten Feuerwehrleute, Polizisten und andere den Schaden und löschten immer wieder neu aufflackernde Flammen und Glutnester. Sie sprach mit mehreren der Männer, und alle bestätigten, dass keine menschlichen Überreste gefunden worden waren. Der desolate Anblick des Schutthaufens, der noch vor kurzem Sean Kings »perfektes« Heim gewesen war, machte Michelle immer mutloser. Hier konnte sie nichts Wissenswertes erfahren. Sie ging zum Anleger und setzte sich für eine Weile auf Kings Segelboot. Sie blickte hinaus auf den stillen See und versuchte, neue Kraft und Inspiration daraus zu ziehen, dass sie, wenn schon nicht dem Mann selber, so doch wenigstens einigen ihm lieb gewordenen Gegenständen nahe war.
Zwei Fragen beschäftigten sie besonders: der auf Bob Scott ausgestellte Haftbefehl und die Überprüfung des Aufenthaltsorts von Doug Denby. Sie beschloss, in beiden Angelegenheiten etwas zu unternehmen. Sie fuhr zu ihrem Hotel und rief noch auf dem Weg dorthin ihren Vater an. Ein allseits respektierter Polizeichef wie Frank Maxwell kannte schließlich jeden in
Weitere Kostenlose Bücher