Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
aufkam, presste es ihr den Atem ab. Um sie herum krachten schwere Gegenstände aller Art auf den Boden; es kam ihr vor, als wäre sie unter Mörserbeschuss geraten. Sie lag im Dreck, hatte sich den Kopf aufgeschlagen, die Lungen voller giftiger Dämpfe, Arme und Beine zerschunden und zerschlagen. Das Nächste, was sie wahrnahm, waren Sirenen von allen Seiten und die Geräusche schwerer Einsatzfahrzeuge. Ein Mann in unförmiger Kleidung kniete neben ihr nieder, gab ihr Sauerstoff und fragte, wie es ihr ging.
Sie brachte kein Wort heraus, während immer mehr Lastkraftwagen und Autos die Auffahrt hinaufrumpelten und die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr gegen das Inferno ankämpften. Kurze Zeit später fielen auch die letzten Reste von Sean Kings Haus in sich zusammen, allein der gemauerte Kamin blieb aufrecht stehen. Mit diesem herzzerreißenden Bild vor Augen fiel Michelle in Ohnmacht.
Als sie wieder zu sich kam, brauchte sie eine Weile, bis ihr klar wurde, dass sie in einem Krankenhausbett lag. Neben ihr erschien ein Mann mit einer Kaffeetasse in der Hand, dem sichtlich ein Stein vom Herzen fiel, als sie die Augen aufschlug.
»Verflucht, Sie wären uns beinah hopsgegangen«, sagte Jefferson Parks. »Der Feuerwehrmann sagte, nur eine Hand breit von Ihrem Kopf entfernt hätte ein 500 Kilo schwerer Stahlträger gelegen.«
Michelle versuchte sich aufzusetzen, doch Parks legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie zurück. »Immer mit der Ruhe, Mädchen! Es hat Sie wirklich böse erwischt. Nach so einem Schock können Sie nicht einfach aufstehen und davonmarschieren.«
Sie sah sich hektisch um. »Sean, wo ist Sean?« Parks antwortete nicht gleich, und Michelle spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Bitte, Jefferson, bitte sagen Sie mir nicht…« Ihre Stimme brach.
»Ich kann Ihnen gar nichts sagen, weil ich nichts weiß. Niemand weiß etwas über ihn, Michelle. Leichen wurden keine gefunden. Es gab nicht einmal einen Hinweis darauf, dass Sean überhaupt im Haus war. Aber die Suche ist noch nicht abgeschlossen. Es ist – na ja – es war ein gewaltiges Feuer, und das Gas war auch explodiert. Ich meine… ich will damit nur sagen, da wird wohl nicht mehr viel zu finden sein.«
»Ich hab ihn gestern Abend angerufen, aber er ging nicht ans Telefon. Vielleicht war er ja gar nicht zu Hause.«
»Oder vielleicht war das Haus schon in die Luft gegangen.«
»Nein, ich hab die Explosion gehört, als ich zu ihm fuhr.«
Parks zog sich einen Stuhl neben das Bett und setzte sich. »Okay, erzählen Sie mir genau, was passiert ist.«
Das tat sie, und zwar mit allen Einzelheiten, an die sie sich erinnern konnte. Und dann fiel ihr plötzlich ein, was außerdem passiert war, ein Ereignis, das durch die Katastrophe mit Kings Haus in den Hintergrund gedrängt worden war.
»Gestern Nacht im Hotel, bevor ich zu Sean gefahren bin, hat jemand versucht, mich umzubringen. Er hat durchs Fenster in mein Bett geschossen. Ein Glück, dass ich auf der Couch eingeschlafen war.«
Parks’ Gesicht lief rot an. »Warum, zum Teufel, haben Sie mich da nicht gerufen? Aber nein, lieber rennen Sie in ein Haus, das gerade in die Luft geht! Sie leiden wohl unter Todessehnsucht?«
Michelle lehnte sich zurück und zerrte ihre Bettdecke zurecht. Der Kopf tat ihr weh, und nun erst fiel ihr auf, dass ihre Arme verbunden waren.
»Habe ich Brandwunden?«, fragte sie matt.
»Nein, nur Schnitte und Prellungen. Die sind bald wieder verheilt. Was mit Ihrem Kopf ist, weiß ich allerdings nicht, aber wenn Sie so weitermachen mit Ihren Dummheiten und Ihr Glück Sie verlässt, dann verlieren Sie ihn endgültig.«
»Ich wollte doch bloß nachschauen, ob Sean okay ist. Ich dachte, wenn sie hinter mir her sind, dann sind sie bestimmt auch hinter ihm her. Und ich hatte Recht. Diese Explosion war kein Unfall, nicht wahr?«
»Nein. Man hat eine Zündvorrichtung gefunden. Ein ganz raffiniertes Ding, heißt es, gleich neben der Gasleitung im Keller. Hat alles in die Luft gejagt.«
»Aber warum bloß? Vor allem, wenn Sean nicht mal zu Hause war?«
»Ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf, aber ich habe keine.«
»Lassen Sie nach ihm suchen?«
»Überall und mit allem, was uns zur Verfügung steht. Das FBI ist dabei, der Marshals Service, der Secret Service, die Staatspolizei von Virginia, die Polizei hier vor Ort. Doch bis jetzt hat sich noch nichts ergeben.«
»Und sonst? Was ist mit Joan? Gibt’s da eine Spur?«
»Nein.« Parks klang
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