Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
muss es in einem Grab sein.«
»Ist es ja in gewisser Weise auch. Zwei Menschen sind hier gestorben.«
»Ich bin froh, dass es nicht drei waren.«
Waren es doch eigentlich, dachte King. Oder?
Mit dem Lichtstrahl ihrer Taschenlampe zog Michelle einen Strich über den Boden. »Das Absperrseil, das die Zuschauer zurückhalten sollte, war hier, oder?« King nickte. »Demnach musste es ziemlich lang sein – von der Wand dort bis ungefähr dreißig Zentimeter hinter der Wand des Aufzugsschachts. Und aus dem Video geht hervor, dass es diagonal verlief. Wissen Sie noch, wer das Seil aufgestellt hat?«
»Das dürfte der Service gewesen sein.«
»Also der Einsatzleiter, Bob Scott?«
»Ich glaube nicht, dass sich Bobby mit solchen Details befasst hat.«
»Woher wissen Sie dann so genau, dass es der Service war?«
King zuckte mit den Schultern. » So sicher bin ich mir da auch nicht. Ich weiß nur, dass Ritter und ich hinter dem Seil stehen sollten.«
»Genau.« Michelle reichte King die Lampe und stellte sich an die Stelle, an der King gestanden und zum Fahrstuhl gesehen hatte. »Okay, wenn das Seil dort war und Sie hier, dann waren Sie der Einzige im Raum, der die Aufzüge sehen konnte. Es sieht ganz so aus, als wäre das bewusst so arrangiert worden. Und im Übrigen hat der Fahrstuhl Ihre Aufmerksamkeit bestimmt noch einmal abgelenkt.«
»Jetzt hören Sie doch endlich mit diesem Fahrstuhl auf!«, fuhr King sie an. »Ich frage mich, warum ich überhaupt hierher gekommen bin. Ritter war ein Idiot. Ich bin heilfroh, dass er tot ist.«
»Er war immerhin Präsidentschaftskandidat, Sean. Ich mochte John Bruno auch nicht, aber ich habe ihn bewacht, als wäre er der Präsident der Vereinigten Staaten.«
»Sie können sich Ihre Lektionen über die Grundsätze des Personenschutzes sparen«, erwiderte er verärgert. »Ich habe schon Präsidenten geschützt, da haben Sie noch Ihre Zeit damit verplempert, wegen einer lächerlichen Metallplakette um die Wette zu rudern.«
»Gehört es zu den Grundsätzen des Personenschutzes«, erwiderte Michelle langsam, »dass man in der Nacht vor einem Einsatz eine Kollegin vögelt und deshalb kein Auge zutut? Wenn ja, dann muss ich den in meinem Handbuch übersehen haben.«
»Ja, der steht gleich neben der Regel, dass man Schutzpersonen nicht unbewacht in einem Raum allein lässt«, konterte er. »Den haben Sie gleich mit übersehen.«
»Ich hoffe, Joan war es wert.«
»Loretta Baldwin hat Ihnen das von dem Höschen an der Deckenlampe ja erzählt. Ziehen Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse.«
»Auf jeden Fall war es eine Fehlentscheidung. Ich hätte mit Ihnen vor einem Einsatz nicht geschlafen, egal wie groß die Versuchung gewesen wäre. Nicht, dass da überhaupt eine gewesen wäre.«
»Danke, gut zu wissen… Mick .«
Michelle ließ nicht locker. »Tatsache ist, dass ich die Ablenkung viel eher akzeptieren kann als die Bumserei vor dem Einsatz.«
»Sehr interessant, das alles… Aber was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie, dass wir uns hier umsehen, oder wollen Sie weiter mein Privatleben und meine Entscheidungen unter die Lupe nehmen?«
»Vorschlag zur Güte: Warum hauen wir nicht einfach ab?«, sagte Michelle abrupt. »Ich habe die Atmosphäre hier drin jetzt satt.«
Sie marschierte aus dem Saal. King schüttelte müde den Kopf und folgte ihr langsam.
Als er den Raum verließ, war von Michelle bereits nichts mehr zu sehen. King rief nach ihr und leuchtete mit der Taschenlampe in die Dunkelheit. Endlich erfasste sie der Lichtkegel und holte sie aus den Schatten. »Michelle! So warten Sie doch! Sie brechen sich noch den Hals, wenn Sie ohne Licht hier rausrennen!«
Die Arme vor der Brust gekreuzt, blieb sie stehen und zog ein finsteres Gesicht. Dann aber, ganz plötzlich, spannten sich alle ihre Muskeln, und ihr Kopf fuhr herum. King sah einen Schemen aus der Dunkelheit auftauchen und hörte Michelle aufschreien. Sofort rannte er auf sie zu. Im Strahl seiner Taschenlampe erschienen zwei Männer und gingen auf Michelle los.
»Pass auf!«, brüllte King. Noch ehe er bei ihr war, flog die Pistole, die einer der beiden Männer gezückt hatte, nach einem exakt platzierten Tritt Michelles in hohem Bogen durch die Luft. Als Nächstes krachte ihr linker Fuß in das Gesicht des zweiten Angreifers; der Kerl flog rückwärts gegen die Wand und sackte zusammen. Wie eine Tänzerin, die einer sorgfältig einstudierten Choreographie folgt, wirbelte sie herum und streckte mit einem bösen
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