Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
nur ein Blitzschlag, der den Treibstofftank entzünden konnte.
»Und Junior?«
»Wegen Junior habe ich mich echt beschissen gefühlt. Diese bescheuerte Sally… Warum hat sie keine Aussage gemacht? Mann, ich fand Junior sympathisch.«
»Er war dagegen, dass sie die Wahrheit sagte. Er wollte ihre Gefühle nicht verletzen.«
»Sehen Sie, da haben wir’s. Es ist immer besser, bei der Wahrheit zu bleiben. Hätte sie sich daran gehalten, wären beide noch am Leben.« Eddie bewegte den Kopf hin und her, um die kräftigen Halsmuskeln zu lockern. »Sie haben auch schon Menschen getötet, Sean.«
»Nur wenn sie mich umbringen wollten.«
»Ich weiß. Ich wollte uns keineswegs in einen Topf werfen. Was haben Sie empfunden, unmittelbar bevor die Leute starben?«
Zuerst dachte King, Eddie redete leichtfertig daher, doch als er bemerkte, wie fest er den Blick in die Finsternis gerichtet hielt, verstand er plötzlich genau, wohin die Frage tatsächlich ging.
»Ich hatte das Gefühl, mit ihnen würde auch ein Teil von mir sterben.«
»Was das angeht, besteht zwischen uns beiden wohl ein großer Unterschied.«
»Sie hatten Vergnügen am Töten?«
»Nein. Ich will damit sagen, ich war schon tot, bevor ich mit dem Töten anfing.« Eddie spannte die Arme und schüttelte den Kopf, als wollte er trübe Gedanken verscheuchen. »Ich war nicht immer so wie heute. Ich habe keinem Menschen etwas Böses getan. Ich habe nicht zu denen gehört, die schon von Kindesbeinen an Tiere quälen und später ihren Hang zur Grausamkeit an Menschen austoben. Nie habe ich solchen Scheiß getrieben wie den, worüber Chip Bailey sich lang und breit ausgelassen hat.«
»Für einen gewöhnlichen Serienmörder habe ich Sie nie gehalten.«
»Wirklich nicht?« Eddie lächelte. »Ich hätte gern in der NFL gespielt. Gut genug war ich. Am College bin ich ein verdammt guter Spieler gewesen. Ich hätte Profi werden können. Na ja – vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich war bärenstark, flink wie ein Windhund, und ich hasste das Verlieren. Mann, das Verlieren hat mich angekotzt! Aber es kam nicht zur Profikarriere. Das war mir vom Schicksal nicht bestimmt. Sie haben Recht. Ich bin zu spät geboren. Ich hätte besser ins neunzehnte Jahrhundert gepasst. Heutzutage bin ich nur ein auswegloser Sonderling.«
»Wann haben Sie die Wahrheit über Ihren Bruder herausgefunden?«
Eddies Blick maß King; dann schaute er zum Heck, wo Sylvia sich inzwischen wieder auf den Sitz gekauert hatte. »Warum fragen Sie danach?«, erkundigte er sich und richtete den Blick erneut auf King.
»Weil ich glaube, dass damit alles angefangen hat.«
»Ach? Sie bilden sich ein, nun komme ich Ihnen mit meinem großen Rechtfertigungsmonolog?«
»In Ihrer Lage würden die meisten Menschen darum flehen, sich rechtfertigen zu dürfen, sich zu verteidigen, eine Erklärung zu geben…«
»Ich bin anders als die meisten Menschen.«
»Wann haben Sie von der Syphilis erfahren?«
Eddie zog den Gashebel nochmals ein wenig zurück, und das FasTech verlangsamte auf dreißig Knoten, eine immer noch beachtliche Geschwindigkeit; zumindest blieben die Antriebsschrauben nach wie vor unter Wasser.
»Als ich neunzehn war«, antwortete Eddie leise und blickte wieder über den Bug in die Ferne, als stellte er über den Daumen gepeilte Berechnungen an. »Meine Eltern wussten nicht, dass ich alles herausgefunden hatte. Was die Todesursache angeht, haben sie mir nichts als Lügen aufgetischt. Aber ich kannte die Wahrheit. O ja, ich wusste über alles Bescheid. So einen Scheiß konnte mir keiner einreden.«
»Das war kurz vor dieser Entführungsgeschichte.«
Eddie lächelte. »Ich kann selbst nicht glauben, dass ich die Sache so viele Jahre lang geheim halten konnte. Vermutlich war Chip Bailey schwer überrascht.«
»Um es mild auszudrücken.« King schaute sich nach Sylvia um, doch sie blickte nur über das dunkle Wasser und zuckte bei jedem Blitz- und Donnerschlag zusammen. Der Seegang war so rau, dass King spürte, wie sein Abendessen zurück an die frische Luft wollte. Verbissen kämpfte er den Brechreiz nieder. »Haben Sie Ihren Vater jemals zur Rede gestellt?«
»Wie hätte jemand ihn zur Rede stellen dürfen? Er war doch der unvergleichliche Bobby Battle! Der Schweinehund war immer im Recht. Er konnte nicht mal dazu stehen, was er seinem eigenen Sohn angetan hatte. Und er machte sich an jede Nutte ran, die ihm über den Weg lief, schleppte zu Hause die Scheißkrankheit ein, die Bobby das
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