Sean King 03 - Im Takt des Todes
erzählt hat. Er hat ihm irgendetwas erzählt, das Monk veranlasst hat, dorthin zu gehen … zum Sterben.«
»Dann ist Henry Fox also von diesem Ort entkommen, Monk aber nicht. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.«
»Sieht so aus«, sagte Sean.
»Und jetzt Viggie.« Michelle schluckte ein Schluchzen herunter, und Sean legte den Arm um sie.
»Tut mir leid, Michelle. Diesmal habe ich wirklich Mist gebaut.«
»Wir beide haben sie allein gelassen, Sean«, erwiderte sie. »Wir beide .«
Sean schaute nachdenklich drein. »Wir haben das Haus heute Morgen gegen sechs verlassen. Es war noch dunkel. Alicia hat in Baracke eins an dem Code gearbeitet. Demnach hätte anschließend jeder Viggie entführen können. Mit einem schnellen Boot wäre sie binnen Minuten drüben in Camp Peary gewesen.«
Während Sean sprach, rannen Tränen über Michelles Gesicht. Er reichte ihr sein Taschentuch, und sie trocknete sich die Augen. »Und was jetzt?«, fragte sie.
Er schaute wieder zum anderen Ufer. »Jetzt werde ich über den Zaun steigen.«
Michelle löste sich aus seiner Umarmung. »Was?«
»Das ist der einzige Weg, Michelle. Ich habe Mist gebaut und Viggie schutzlos zurückgelassen. Ich kann nicht einfach hier rumsitzen und nichts tun. Ich muss versuchen, sie zu retten.«
»Okay, wann gehen wir?«
» Du gehst nicht.«
»Dann gehst du auch nicht.«
»Michelle, das kann ich nicht zulassen. Vielleicht liege ich ja auch vollkommen falsch. Ich kann nicht erlauben, dass du dein Leben einfach wegwirfst.«
»Was für ein Leben, Sean? Manchmal weiß ich nicht mal, wer ich bin. Das einzige Leben, das mich im Augenblick kümmert, ist das von Viggie. Wenn du über diesen verdammten Zaun steigst, komme ich mit!«
Sean blickte sie an. Ein Teil von ihm empfand Stolz, weil sie sich weigerte, ihn allein gehen zu lassen; andererseits erinnerte er sich an Joans und Horatios Warnungen.
»Der CIA -Flug kommt morgen Nacht«, sagte Michelle. »Denkst du, sie werden versuchen, Viggie auf diese Weise wegzuschaffen? Vielleicht lassen sie das Mädchen bis dahin am Leben.«
Sean antwortete nicht, schaute nur weiter auf den Fluss. Wollte er sich wirklich mit jemandem wie Ian Whitfield anlegen?
Wenn es sein musste, ja.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er sprang auf. »Komm!«
76.
T oby Rucker rief Horatio zurück, als dieser gerade packte. Er habe Erfolg gehabt, sagte er dem Psychiater.
»Ungefähr um die Zeit, die Sie interessiert, hat man einen verlassenen Wagen gut eine Stunde Fahrt entfernt von hier gefunden, oben in den Smoky Mountains. Ich war damals noch Freiberufler, aber nachdem ich die Story im Archiv gelesen hatte, habe ich mich wieder daran erinnert.«
»Auf wen war der Wagen zugelassen?«
»Auf einen William Joyner, Sergeant in der U.S. Army. Er hat in dem Rekrutierungsbüro gearbeitet, das es hier unten gab. Das war in den späten Siebzigern.«
»Und was ist mit ihm passiert?«
»Das weiß niemand«, antwortete Rucker. »Sie haben den Wagen gefunden, ihn aber nicht. Die Polizei hat die Sache untersucht, und auch die Army hat ein paar Leute geschickt, aber sie haben nie etwas gefunden.«
»War Joyner verheiratet?«
»Nein. Er war Ende zwanzig. Mit achtzehn ist er zur Army gegangen. Er hat in Vietnam gekämpft, ist beim Militär geblieben und war gerade sechs Jahre wieder in den Staaten, als er verschwunden ist.«
Zögernd fragte Horatio: »Hatte er irgendwelche Beziehungen? Eine Freundin?«
»Im Archiv steht jedenfalls nichts davon. Warum? Wissen Sie etwas anderes?«
»Nein«, erwiderte Horatio rasch.
»Darf ich fragen, warum Sie sich für diesen Fall interessieren? Das hat South mir nicht gesagt.«
»Ich bin bloß neugierig. Dann ist die Untersuchung also in einer Sackgasse gelandet?«
»So ist es oft, wenn man keine Leiche findet. Vielleicht war Joyner die Army einfach nur leid und hat sich unerlaubt von der Truppe entfernt. Das wäre nicht ungewöhnlich.«
Horatio dankte dem Mann und legte auf. Wie es aussah, hatte William Joyner eine Affäre mit Frank Maxwells Frau gehabt und war verschwunden. Seine Leiche – vorausgesetzt er war tot – war nie gefunden worden. Was hatte Michelle vor all den Jahren gesehen, was sie derart geschädigt hatte? Horatio wusste, dass ihm nur einer diese Frage beantworten konnte: Michelle selbst. Auch wenn ihr Bewusstsein die Erinnerung schon vor langer Zeit begraben hatte, ihr Unterbewusstsein würde es nie vergessen.
Sean und Michelle holten ein paar Werkzeuge aus der Garage und
Weitere Kostenlose Bücher