Sean King 03 - Im Takt des Todes
keins fehlt?«
»Nein. Hätte jemand ihn übergesetzt und wäre dann wieder zurückgefahren, wüssten wir nichts davon.«
»Wo liegen die Boote?«, fragte Sean.
»Am Bootshaus unten am Fluss.«
»Hat jemand in der Nacht, als Monk starb, ein Motorboot gehört?«
Rivest schüttelte den Kopf. »Aber zwischen hier und dem Bootshaus liegt ein kleiner Wald. Es ist also durchaus möglich, dass man es nicht hören konnte .«
»Wir scheinen überall in einer Sackgasse zu enden.«
»Wie wäre es mit einem Drink?«, schlug Rivest vor.
»Haben Sie den Eindruck, ich könnte einen gebrauchen?«
»Nein, aber ich. Kommen Sie. Wir werden was essen, uns ein paar Drinks genehmigen, und morgen werde ich Ihnen dann mehr über Babbage Town erzählen, als Sie je wissen wollten.«
»Sagen Sie mir nur eins, Rivest. Was immer hier geschieht – ist es das wert, dass jemand dafür mordet?«
Im schwächer werdenden Licht blickte Rivest über Seans Schulter hinweg zum Herrenhaus. »Verdammt, Sean, was hier geschieht, ist es wert, dass Völker dafür in den Krieg ziehen.«
16.
E s war ein Uhr morgens, als Michelle über Cheryls leises Schnarchen hinweg Schritte draußen auf dem Gang hörte. Bereits angezogen, trat sie in Socken auf den Flur hinaus und folgte der Person. Es war Barry, da war sie sicher.
Michelle blieb stehen, als die Schritte vor ihr verstummten. Sie schaute sich um. Sie war auf dem Gang, der zu Sandys Zimmer führte. Michelle spitzte die Ohren, als der Unbekannte sich wieder in Bewegung setzte, und folgte ihm fast lautlos, wobei ihr Blick über die gedämpften Lichter des Flurs vor ihr schweifte. Dann hörte sie, wie eine Tür sich öffnete und wieder schloss. Michelle spähte um die Ecke. Ein Licht brannte am Ende des Gangs und erlosch abrupt. Michelle duckte sich hinter die Ecke, als eine andere Tür sich öffnete und schloss.
Nachdem sie gut fünf Minuten gewartet hatte, hörte sie die Tür erneut, und Schritte kamen in ihre Richtung. Michelle schaute sich hastig nach einer Versteckmöglichkeit um, duckte sich in ein leeres Zimmer und kauerte sich neben die Tür. Als die Person vorbeiging, spähte sie durch das kleine Fenster in der Tür. Es war nicht Barry. Wer immer es sein mochte – er war kleiner als der Pfleger. Michelle konnte die Person nur schemenhaft sehen, erkannte aber, dass sie einen Hut trug und den Mantelkragen hochgeschlagen hatte.
Als die Gestalt aus ihrem Sichtfeld verschwand, trat Michelle auf den Gang und überlegte, ob sie der Person folgen oder zu dem Zimmer gehen sollte, wo sie gewesen war. Schließlich entschied sie sich für Letzteres. Sie schlich den Gang hinunter und bog um die Ecke. Am Ende des Flurs befanden sich die Türen zur Stationsapotheke und zu Sandys Zimmer. Michelle spähte durch das Plexiglas in der Tür der Frau hinein: Sandy schlief in ihrem Bett; zumindest sah es so aus.
Als Michelle wieder den Gang hinunterschaute, fiel ihr Blick auf einen kleinen Gegenstand. Sie bückte sich und hob ihn auf. Es war ein Stück Luftpolsterfolie, wie man sie in Versandkartons verwendete. Michelle steckte es in die Tasche, warf noch einen Blick auf die schlafende Sandy und ging leise wieder in ihr eigenes Zimmer zurück.
Am nächsten Morgen wachte sie früh auf und machte eine Runde über die Flure. Als sie Sandys Zimmer erreichte, kam die Frau gerade in ihrem Rollstuhl zur Tür heraus. Sandy trug eine Red-Sox-Kappe und setzte ein breites Lächeln auf, als sie Michelle erblickte.
»Wie geht’s der Migräne?«, erkundigte sich Michelle.
»Wie weggeblasen. Eine Nacht Schlaf reicht für gewöhnlich. Danke der Nachfrage.«
»Wann haben Sie Ihre nächste Sitzung?«
»Meine erste ist um elf. Dann kommt eine Gruppensitzung nach dem Mittagessen. Anschließend verabreichen sie mir meine Medikamente. Dann besucht mich mein Therapeut. Dann bekomme ich noch eine Portion Muntermacher und ziehe los, um mit ein paar Fremden zu quatschen. Bis dahin bin ich so zugedröhnt, dass mir alles piepegal ist. Ich sag den Leuten, was immer sie hören wollen … dass meine Mom mir bis zum Schulabschluss die Brust gegeben hat und so was alles. Die glauben mir diesen Blödsinn sogar und schreiben Artikel für medizinische Fachzeitschriften darüber, während ich mir ins Fäustchen lache.«
»Ich glaube nicht, dass diese Gruppentherapie etwas für mich wäre«, bemerkte Michelle.
Sandy drehte sich mit ihrem Rollstuhl auf der Stelle. »Ach, das ist nicht der Rede wert. Sie müssen nur aufstehen – oder in
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