Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
diese Straße ins Tal gefahren; Quarry hatte sie benutzt, um alles hier heraufzuschaffen, was er brauchte. In seinem kleinen Flugzeug hätte er das Material nie transportieren können.
Natürlich war der Berg nicht immer eine Mine gewesen. Wind, Regen und geologische Aktivitäten hatten große Höhlen und Kammern erschaffen. Lange vor der ersten Fahrt einer Kohlenlore, während des amerikanischen Bürgerkriegs, waren in diesen Höhlen gefangene Soldaten der Nordstaaten gestorben. Ohne Sonne und frische Luft waren sie bis auf die Knochen abgemagert und schließlich jämmerlich zugrunde gegangen.
Heutzutage waren die Schächte mit Lampen ausgestattet, doch Quarry benutzte sie nur, wenn es unbedingt nötig war, denn der Strom wurde von einem alten Dieselgenerator erzeugt, und Treibstoff war teuer. Quarry verwendete eine alte Taschenlampe, wenn er etwas sehen wollte. Tatsächlich war es sogar dieselbe Lampe, mit der sein Vater »aufsässige« Schwarze gejagt hatte, nachts, in den Sümpfen von Alabama. Als Kind hatte Quarry oft aus einem Versteck beobachtet, wie sein Alter im Dunkeln nach Hause gekommen war, erfüllt von wilder, perverser Freude darüber, was er und seine Kumpane in ihrem Hass getan hatten. Manchmal hatte Quarry das Blut der Opfer an den Händen und Ärmeln seines Vaters gesehen, und der Alte hatte gekichert, wenn er sich anschließend einen Whisky genehmigt hatte. Es war verrückt und abartig, Menschen nur deshalb zu töten, weil sie anders aussahen als man selbst.
»Dieser miese alte Bastard«, schimpfte Quarry vor sich hin. Er verabscheute seinen Vater für all den Kummer, den er über andere Menschen gebracht hatte. Quarry öffnete eine weitere Tür in der Wand des Hauptschachts. Dahinter verbarg sich ein Raum. Quarry nahm eine batteriebetriebene Laterne von einem Regal, schaltete sie ein und stellte sie auf einen Tisch in der Mitte des Raumes. Dann schaute er sich um und bewunderte sein Werk. Er hatte den Raum mit dicken Bohlen verkleidet und mit Spachtelmasse verfugt. Anschließend hatte er das Ganze in therapeutischem Hellblau gestrichen. Quarry hatte das gesamte Material kostenlos von einem Freund bekommen, der eine kleine Baufirma besaß und nicht wusste, wo er Überschüsse lagern sollte. Hinter den Wänden befanden sich die gewaltigen Innereien des Berges. Doch jeder, der sich in dem Raum umsah, hatte das Gefühl, sich in einem Haus zu befinden. Und das war ja auch der Sinn des Ganzen.
Quarry ging in eine Ecke und musterte die Frau, die dort zusammengesunken auf einem Stuhl saß und schlief, den Kopf zur Seite geneigt. Quarry stupste sie am Arm, doch sie reagierte nicht. Na, das würde sich schnell ändern.
Quarry krempelte den Ärmel der Frau hoch, holte eine sterile Spritze aus seinem Rucksack und stieß sie der Frau in den Arm. Sekunden später schlug sie die Augen auf, und ihr Blick klärte sich. Als sie Quarry sah, öffnete sie den Mund, um zu schreien, aber das Klebeband auf ihren Lippen hinderte sie daran.
Quarry lächelte sie schief an, während er ihr zwei Ampullen Blut abnahm. Die Frau beobachtete ihn entsetzt. Sie konnte sich nicht bewegen; Fesseln hielten sie am Stuhl fest.
»Ich weiß, dass es Ihnen seltsam erscheint, Ma'am«, sagte Quarry, »aber glauben Sie mir, es dient einem guten Zweck. Ich will weder Sie noch sonst jemanden verletzen. Haben Sie verstanden?«
Er zog die Nadel heraus, desinfizierte die Einstichstelle mit einem in Alkohol getunkten Wattebausch und klebte ein Pflaster darauf.
»Haben Sie verstanden?«, fragte er erneut.
Die Frau nickte.
»Gut. Es tut mir leid, dass ich Ihnen Blut abnehmen musste, aber es ging nicht anders. Okay, jetzt bekommen Sie etwas zu essen und können sich waschen. Wir werden Sie nicht die ganze Zeit gefesselt lassen. Sie bekommen ein wenig Bewegungsfreiheit. Ich weiß, dass Sie noch nicht erkennen können, warum das alles nötig ist - die Fesseln und so weiter. Nicht wahr?«
Die Frau schaute ihm in die Augen. Trotz ihrer schrecklichen Situation nickte sie.
»Ausgezeichnet«, sagte Quarry. »Machen Sie sich keine Sorgen. Alles wird wieder gut. Und es wird keine Übergriffe geben, weil Sie eine Frau sind ... Sie wissen, was ich meine. So etwas dulde ich nicht. Sie haben mein Wort.« Zärtlich drückte er ihr den Arm.
Die Frau verzog den Mund zu einem verzerrten Lächeln.
Quarry steckte die Ampullen in seinen Rucksack und wandte sich von der Frau ab.
Einen Augenblick stellte sie sich vor, wie er plötzlich mit einem
Weitere Kostenlose Bücher