Sechs Richtige (German Edition)
Dezember.»
«Das ist doch dasselbe», sagte Lena.
«Nein», sagte Frauke. «Ende November ist noch im November und Anfang Dezember schon im Dezember. Das ist ja wohl total klar.»
«Das ist doch ganz egal», sagte Antonia, die nicht über Monatstage diskutieren wollte. «Wie ging es denn mit dem irren Mann weiter? Hat er eure Mutter bedroht? Ist er auf sie losgegangen und wollte sie mit in den Tod zerren? O Gott, o Gott …»
«Nein, das nicht», erzählte Lena weiter. «Mama und Oma waren also auf dem Oberland, und Mama wollte eigentlich Karnickel füttern.»
«Wie süß. Hier gibt’s Karnickel?», fragte Vanessa, die wie ihre Schwester Tiere sehr mochte.
«Das ist doch total egal», sagte Antonia aufgeregt. «Ich will mehr über den Selbstmörder hören.»
«Er raste an den beiden vorbei und hat Mama noch am Arm berührt. Das fand sie ganz gruselig. Tja, und dann ist er am Klippenrand einfach über den Zaun gesprungen und schreiend in die Tiefe gestürzt.»
«Einfach so?», riefen Antonia und Vanessa synchron und schlugen die Hände vor den Mund.
«Ja, das war doof, hat Mama erzählt. Dann war natürlich Aufruhr, und sie konnte erst später die Karnickel füttern. Da war sie ziemlich sauer.»
Offenbar ging es auf Helgoland recht pragmatisch zu.
«Und gibt es noch andere Geschichten?», fragte Vanessa.
«Klar», nickte Lena. «Aber immer mit der Ruhe. Wir haben echt noch viel Zeit. Jetzt will ich erst mal baden. Übrigens – schwimmt nicht so dicht an die Kegelrobben, das mögen die nicht.»
«Und was kann da passieren?»
«Na, die beißen dann. Einem kleinen Kind ist schon mal der Kopf abgebissen worden. Ja, ja, hier gibt es viele Tote.»
«Oh», machten Antonia und Vanessa wieder gemeinsam.
«Kleiner Scherz», sagte Lena. «Die meiste Zeit geht es hier echt ruhig zu. Es passiert so gut wie nichts.»
In diesem Moment brauste von irgendwoher ein kleines Motorboot heran und landete mit einem großen Knall auf den Tetrapoden, einer künstlichen Barriere aus Beton gegen zu hohen Wellengang.
Die Besucher der Düne brüllten laut auf vor Schreck, nur Frauke und Lena blieben ruhig und gelassen.
«Das ist Jens», sagte Frauke. «Internet-Junkie und Frau-fürs-Leben-Sucher. Er nimmt gern mal eine gutaussehende Tagestouristin oder Urlauberin mit auf sein Boot. Das ist schon das dritte, das er zerlegt. Sein Vater hat ziemlich viel Kohle, er hat hier eine Bäckerei und in Cuxhaven noch eine, und Jens ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Er verwechselt back- mit steuerbord und kommt mit den Geschwindigkeiten nicht so gut klar.»
«Aha», sagte Vanessa und setzte ihre Sonnenbrille auf, um in Ruhe zu beobachten, wie Jens und eine dunkelhaarige Frau aus dem Motorboot kletterten und zu streiten begannen. Kurze Zeit später sprangen sie ins Wasser und schwammen Richtung Strand. Eine Kegelrobbe verfolgte sie böse und gab giftige Geräusche von sich. Offenbar waren sie in ihr Terrain eingedrungen. Fast hoffte Vanessa, dass die Kegelrobbe nach den beiden schnappen würde, damit noch ein bisschen was los war.
«Tja», sagte Frauke. «Dafür komm ich mit der Schule nicht klar.»
«Wieso?», fragte Vanessa. «Hast du keinen Bock, oder kapierst du was nicht?»
«Ich hasse Mathe und Englisch», sagte Frauke angewidert und verdrehte die Augen. «Wozu braucht man das?»
«Für irgendwas wird’s schon gut sein.»
«Ja, ja, Mama. Jedenfalls kann ich Englisch und Mathe nicht ausstehen. Das Blöde ist, wenn ich mich im nächsten Jahr nicht wirklich anstrenge, also so wirklich, dann klappt es mit der Versetzung nicht. Ich stehe jedes Jahr auf der Kippe, und die Richter hat gesagt, wenn das so weitergeht und ich von Jahr zu Jahr schlechter werde, kann sie auch nichts mehr machen.»
«Hast du noch die Schulbücher?»
«Ja sicher.»
«Okay», sagte Vanessa. «Komm mit.»
«Wohin?»
«Zu dir nach Hause. Wir lernen. Ich bin in beiden Fächern absolut top.»
«Das stimmt echt.» Antonia nickte. «Wenn jemand saugut ist, dann Vanessa.»
«Aber es sind doch Ferien, und das Wetter …», versuchte Frauke sich rauszureden, aber Vanessa hatte sie schon am Ärmel gepackt. «Los jetzt.»
6
«Jan!», rief Fridtjof total genervt. «Steuerbord ist in Fahrtrichtung rechts. Backbord ist links. Wenigstens
das
könntest du dir doch mal merken.»
«Wenn dauernd das Segel rumkommt und ich mich bücken muss», gab Jan zurück. «Wie soll ich mich denn da noch auf was anderes konzentrieren? Ich hab keine Lust, ins Wasser zu
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