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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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Sirkowsky musste untertauchen! Irgendwo außerhalb der Stadt. Und da schien ihm nur ein Ort geeignet: Seine Wald-Datscha in Borkheide, etwa sechzig Kilometer südwestlich von Berlin gelegen. Niemand würde ihn dort finden und Sirkowsky selbst konnte dort keinen weiteren Schaden anrichten.
    Als der Arzt Sirkowskys Oberschenkel versorgt und Blutersatz infundiert hatte, schafften sie den Ukrainer mit vereinten Kräften weg.

-58-
     
    Von den Geschehnissen um die unglückliche Ärztin bekam Corinna nichts mit. Wieder am Bett ihrer Schwester tat sie, was sie auch gestern schon getan hatte. Mal weinte sie, mal redete sie und manchmal war sie einfach nur stumm. Aber ganz gleich was sie tat, ihre Präsenz wurde wahrgenommen, ihre Worte gehört und beides zeichnete auf der Anzeige des EKG-Monitors hektische Ausschläge der Amplituden. So waren die vermeintlichen Monologe in Wahrheit Dialoge und die Liebe der einen, der brodelnde Hass der anderen. Derart verging gut eine Stunde, bis sich die Tür öffnete und jemand zaghaft den Kopf durch den Spalt streckte. Es war Ben. Corinna, die mit dem Rücken zur Tür saß, bemerkte ihn erst, als er sie ansprach.
    „Darf ich ...?“, sagte er leise. Sie drehte sich zu ihm um. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    „Fremder! Komm ...“, flüsterte sie und winkte ihn heran. Ben folgte, schloss leise die Tür und stellte sich neben sie. Die stand auf und drückte ihn. Fest. Ben zögerte kurz, dann erwiderte er die Umarmung. Als sich ihre Blicke trafen, lösten sie sich schnell voneinander.
    „Gut, dass du da bist", sagte sie.
    „Wie geht es ihr?“
    „Ich weiß es nicht. Bisher waren nur zwei Pfleger da. Einen Arzt habe ich noch nicht gesehen.“
    „Und dir? Wie geht es dir?“, fragte Ben.
    „Tsunami", antwortete sie bitter lächelnd. Ben sagte nichts, frage nicht, sondern nickte nur. Sie war darüber gleichermaßen verwundert wie elektrisiert. In dieser Geste lag augenscheinlich erst einmal nichts und doch so viel. Für sie nämlich nicht weniger als eine neue Erfahrung. Sie wurde verstanden.
    Die Blicke der beiden wanderten zu Anna, betrachteten sie still. Nach einer Weile des nachdenklichen Schweigens sagte Ben: „Vielleicht sollten wir einen Arzt auftreiben?“
    Corinna winkte ab.
    „Das habe ich vorhin schon versucht. Die scheinen im Moment alle beschäftigt zu sein.“
    „Gibt es Neuigkeiten wegen des Unfallopfers?“, fragte er nach einer Weile. Sie nickte.
    „Es war jedenfalls nicht der Vater der Kinder. Dafür ist jemand anderes verantwortlich.“
    „Oh ... ist er ...?“, fragte Ben.
    Corinna schüttelte den Kopf.
    „Nein. Er lebt. Aber der Mann, den Anna angefahren hat, der ist tot.“
    Ihm schnürte es die Kehle zu.
    „Ben, ich glaube, ich muss hier mal kurz raus. Etwas Luft schnappen.“
    „Dann sollten wir gehen.“
    Corinna lächelte ihn dankbar an. Er war wegen ihrer Schwester gekommen, hatte Anna kaum gesehen und nun ...
    „Ben?“
    „Ja?“
    „Du bist mir ganz und gar kein Fremder mehr.“ Nun war er es, der lächelte.
    „Laufen wir eine Runde durch den Schnee", sagte er.
    Er streckte die Hand nach ihrem Arm aus und geleitete sie mit sanftem Druck in Richtung Tür.
    Der Kontrollmonitor protokollierte jetzt noch heftigere Ausschläge.

-59-
     
    Corinna und Ben wanderten durch die Straßen. Ein Ziel hatten sie nicht. Kein Café und auch nicht die Klinik, die im Moment nichts zu bieten hatte, außer dem Anblick von Leid und den beißenden Geruch von Krankenhaushygiene.
    Beide hinterließen beschwingt Fußabdrücke im frischen Schnee, genossen die schneidende Luft auf ihren Wangen und das Knarzen des frischen Schnees unter ihren Sohlen.
    Corinnas Welt war bis zum Unfall ihrer Schwester einigermaßen in Ordnung gewesen, aber so leicht wie jetzt hatte sie sich auch da nicht gefühlt. Und Ben empfand nicht anders. Diese Frau brachte Leben in seines.
    Irgendwann atmeten beide befreit genug, liefen einfach nur still, aber lächelnd nebeneinander her, ohne auch nur eine Sekunde des Schweigens als unangenehm zu empfinden. An ihr schlechtes Gewissen erinnerten sie sich nicht mehr - und wollten es auch nicht.
    Nach vielen weiteren und gemeinsamen Schritten hakte sich Corinna bei ihm ein. Ben sah sie an, lächelte nur einverständig und schaute wieder nach vorne.
    „Hast du eigentlich Geschwister?“, fragte Corinna und beendete damit die Stille.
    Ben schüttelte den Kopf.
    „Ich glaube, meine Eltern waren nicht allzu scharf auf eine Fortsetzung. Ich habe

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