Seefeuer
Chef? Mit einem Pastis kann ich leider
nicht dienen, aber ein Kaffee wäre doch gut, ehe wir im Sekretariat die Listen
abholen. Was meinen Sie?«
»Die Leute hier werden andere Sorgen haben, als für
uns Kaffee zu kochen.«
»Da vorne steht ein Automat, haben Sie ihn nicht
gesehen?«, fragte Jo und kramte bereits nach Münzen.
»Deine Augen möchte ich haben!«, staunte Wolf.
»Etwas Milch, ohne Zucker – richtig?«
»Richtig.«
***
Philip
fühlte sich nicht annähernd so stark, wie er sich bei dem Gespräch mit den
Polizisten gegeben hatte. Er wollte nur noch raus, wollte allein sein, sich
verkriechen. Niemand sollte mitbekommen, wie schlecht es ihm wirklich ging. Auf
dem Weg zum Hinterausgang kreuzte Hajek seinen Weg. Noch einmal riss sich
Philip zusammen.
»Sind ganz schön hartnäckig, die Ermittler, was?«,
meinte der Lehrer mitfühlend.
»Das ist ihr Job. Hauptsache, sie fassen die Schweine
bald.«
Hajek wiegte mit dem Kopf. »Tja, da hab ich so meine
Zweifel …«
»Moment mal, wieso? Was haben die Ihnen gesagt?« Mit
zusammengekniffenen Augen starrte Philip auf Hajek.
»Eigentlich nichts, entschuldige bitte. Wahrscheinlich
hab ich so eine Aussage provoziert.«
»Welche Aussage? Das würde mich jetzt schon
interessieren.«
Hajek, der seine Bemerkung bereits zu bedauern schien,
wand sich sichtlich, ehe er sich zu einer Antwort entschloss. »Nun, ich habe
den Kommissar auf eine Soko angesprochen, die sich mit Hochdruck um die
Aufklärung kümmert.«
»Und … was hat er geantwortet?«
»Das ist es eben. Er sagte, Tammys Tod sei leider
nicht ihr einziger Fall, sie hätten noch andere auf dem Tisch. Von einer Soko
war jedenfalls nicht die Rede. Aber das kennt man ja, die Leute haben einfach
zu viel am Hals, sind personell unterbesetzt.« Und mit Blick auf Philips
grimmigen Gesichtsausdruck fügte er schnell hinzu: »Mach dir nichts draus,
wahrscheinlich hab ich das alles falsch interpretiert. Ich bin sicher, dass der
Fall aufgeklärt wird.«
»Das wird er, das versprech ich Ihnen!«, antwortete
Philip mit Nachdruck und ließ Hajek stehen.
***
In
der ganzheitlichen Ausbildung junger Menschen, wie sie die Trägerschaft des
Bodensee-Internats verstand, nahm die »Leibesertüchtigung« einen wichtigen
Platz ein. Anders als Hauptkommissar Wolf hätten die Schüler diesen Begriff
allerdings als reichlich antiquiert abgetan, spiegelte er doch so gar nicht das
außerordentlich breit gefächerte Sportangebot der Schule wider, von dem
zahlreiche Jungen und Mädchen mit einer Leidenschaft Gebrauch machten, die
nicht selten in Besessenheit ausartete. Das Internat verfügte über eine moderne
Sporthalle. Sie lag in geringer Entfernung zum Haupttrakt des Schlosses und war
mit diesem durch einen überdachten Fußweg verbunden. Unmittelbar hinter der
Halle begann der einst kunstvoll angelegte, inzwischen jedoch weitgehend
naturbelassene Schlosspark, der durch seine große Anzahl seltener alter Bäume
aus allen fünf Erdteilen eine gewisse Bedeutung erlangt hatte. Nicht wenige
Fachleute hatten ihn deswegen sogar in den Rang eines Arboretums erhoben.
Anders als an Werktagen war die Sporthalle an diesem
frühen Samstagnachmittag völlig verlassen. Lediglich im Kraftraum, durch die
Sanitärräume von der Haupthalle getrennt, arbeitete ein einzelner Schüler
verbissen mit einer Hantel. Der Schweiß floss in Strömen, doch er achtete nicht
darauf. Philip brauchte das jetzt. Nur wenn er sich total verausgabte, konnte
er die Gedanken an den mysteriösen Tod seiner Schwester für kurze Zeit
ausblenden.
Die Außentür der Sporthalle machte ein Geräusch, dann
betraten zwei junge Männer den Raum. Schwer atmend unterbrach Philip sein
Krafttraining und stand auf. Mit ernster Miene begrüßte er seine Freunde
Hans-Peter Teltschig und Marc Blum.
Die beiden Neuankömmlinge hätten gegensätzlicher nicht
sein können. Während Teltschig, der selbst von den Lehrern nur mit »Hape«
angeredet wurde, bei einer Größe von eins zweiundneunzig beinahe zwei Zentner
auf die Waage brachte, wirkte Marc Blum dagegen klein und schmächtig. Hinter
seinen dicken Brillengläsern funkelten unnatürlich groß wirkende Augen. Weil
Marc schon immer Arzt werden wollte, hatte ihn irgendjemand mal »Doc« genannt,
und dieser Name war ihm geblieben. Er gehörte zu den wenigen Internatsschülern,
die Sport als einen ebenso anstrengenden wie überflüssigen Zeitvertreib
betrachteten, und seine Bewegungen wirkten stets etwas behäbig. Doch
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