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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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jeder
Auseinandersetzung aus dem Weg ging, schlug er jetzt plötzlich Philips Arm zur
Seite. Und obwohl ihn Philip um Haupteslänge überragte, stieß er diesen mit
solcher Wucht vor die Brust, dass er strauchelte und, vergeblich Halt suchend,
hintenüberfiel. Im selben Moment riss Olaf Philips Rad hoch und schwang sich in
den Sattel.
    Doch er kam nicht weit. Noch ehe er so richtig in die
Pedale treten konnte, packte Philip ihn von hinten am Kragen und zog ihn vom
Rad. Das Frettchen lag bäuchlings auf dem staubigen, mit Schotter bestreuten
Weg, Philips Knie rammte sich in seinen Rücken, und die Arme wurden ihm
schmerzhaft nach hinten gezogen.
    »Das würde dir so passen, du kleiner Scheißer«, rief
Philip und löste bei dem Untenliegenden einen Schmerzensruf aus, als er dessen
Arme noch etwas weiter nach oben drückte. »Zum letzten Mal: Wer war auf dem
Schiff?«
    »Ich hab doch schon gesagt …«
    »Mann, wenn du den Mund aufmachst, kommt Müll heraus –
weil du zu blöd bist, deine Lage zu begreifen. Hast du eine Vorstellung, was
passiert, wenn die Vorgänge auf dem Schiff an die Öffentlichkeit gelangen? Und
dafür werde ich sorgen, so wahr ich Philip Reich heiße! Wenn in der Zeitung
steht, dass deine Eltern den Champagner für Schiffspartys mit minderjährigen
Schülerinnen geliefert haben, dann könnt ihr diesen lieblichen Landstrich
verlassen. Dabei ist es völlig egal, ob eure Firma tatsächlich damit zu tun
hatte oder nicht – etwas bleibt immer hängen. Wie ich deinen Vater kenne, wird
er dich erst mal grün und blau schlagen, ehe er dich an eine andere Schule
verfrachtet.«
    »Scheiß drauf … ich kann dir die verfluchten Namen
nicht geben, weil ich sie nicht kenne. Ich war gar nicht auf dem Kahn.«
    So viel Verstocktheit brachte Philip nur noch mehr in
Rage.
    »Wer war mit auf dem Schiff?« Um seiner Frage den
nötigen Nachdruck zu verleihen, zog er Olafs Arme noch ein wenig weiter nach
oben. Ein lang gezogenes Wimmern ertönte.
    »Also … ich höre?«, sagte Philip und lockerte den
Griff etwas.
    »Und wenn du mich totschlägst: Ich war wirklich nicht
dabei. Ich habe lediglich durch Zufall einen Vermerk auf dem Bestellfax
gesehen, von meinem Vater notiert. ›Bei Rückfragen an Dr. Pohl wenden‹, stand
da«, wimmerte das Frettchen.
    »Wer ist Dr. Pohl?«
    »Dieser Anwalt aus Überlingen, denke ich.«
    »Denkst du?«
    »Aua … Ja, er ist es.«
    »Na siehst du, geht doch! Und weiter?«
    Olafs Widerstand schien endgültig gebrochen, sein
Wimmern ging in haltloses Schluchzen über. »Einmal … einmal hab ich ein
Gespräch zwischen Bille und Tammy belauscht … da war von einem Weselowski die
Rede … ja, Weselowski … und von Trost, diesem Drucker. Mehr weiß ich wirklich
nicht, ich schwöre.«
    Weselowski? Pohl? Trost? Die Namen sagten ihm was, er
hatte sie hin und wieder von seinem Vater gehört, außerdem tauchten sie des
Öfteren in der Zeitung auf. Philip war geschockt. Es wollte ihm nicht in den
Kopf, dass Männer dieses Schlages, durchweg respektable Bürger, die etwas
galten in der Stadt und einen Ruf zu verlieren hatten, ausschweifende Sexpartys
mit minderjährigen Schülerinnen veranstalteten. Offenbar glaubten sie, mit
ihrem Geld alles und jeden kaufen zu können. Und ziemlich sicher wäre die
Rechnung der Männer sogar aufgegangen, hätte es da nicht diese Tote gegeben.
    Diese Tote … verdammt noch mal, das war Tammy, seine Schwester!
    Niedergeschlagen ließ Philip Olafs Arme los und half
ihm auf die Beine. Mit dem Ärmel seiner Sportjacke wischte sich das Frettchen
übers Gesicht, in das Staub und Tränen ein skurriles Muster gezeichnet hatten.
    »Wir müssen los«, sagte Philip und hob sein Rad hoch.
In diesem Augenblick kam Hape auf sie zugeprescht. Wenige Meter vor den beiden
legte er eine Vollbremsung hin, sodass ihnen der Kies nur so um die Ohren
spritzte. »Wo bleibst du, Philip? Und was will der hier?«, fragte er
misstrauisch und wies mit dem Kopf auf das Frettchen.
    »Wir haben uns ein bisschen unterhalten, nichts
weiter.«
    »Da vorne brennt’s«, sagte Hape und deutete über die
Schulter zurück. Sie hatten sich kaum in Bewegung gesetzt, da sah Philip auch
schon den Feuerschein. Irgendetwas auf dem Überlinger Burgberg schien höllisch
zu lodern. Brandgeruch zog über sie hinweg, in der Ferne war ein vielstimmiges,
an- und abschwellendes Tatütata zu hören, das sich mit dem Heulen der Windböen
zu einem wirren Klangbrei vermischte. Philip und Hape beschleunigten das

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