Seeherzen (German Edition)
buchstäblich mitriss, egal, welches Ziel oder Projekt sie gerade im Auge hatte. Sie brachte mich dazu, sie vor den Altar führen zu wollen, ohne dass sie selbst je ein Wort darüber verloren hätte; das Reden überließ sie einfach den anderen. «Wann heiratest du dieses entzückende Mädchen denn nun endlich?», wurde ich immer wieder gefragt. «Sie wird nicht ewig auf dich warten, weißt du?» Immer öfter bekam ich das zu hören, nachdem ein Jahr ins Land gezogen war und dann ein weiteres.
Wir spazierten am Hafen entlang, die Sonne schien herbstlich sanft. Gerade waren wir Jeannie Grace begegnet, die uns von ihrer frischgeschlossenen Verlobung mit meinem Freund Thomas Parsnall erzählt hatte.
Eigentlich sollte das ja niemanden überraschen
, hatte Jeannie gesagt,
und trotzdem wirken alle ganz erstaunt und freuen sich für uns und sehen mich zum ersten Mal richtig an, als hätten sie mich vorher nie bemerkt.
Gerade sagte ich zu Kitty: «Die Leute sagen, wir sollten heiraten, du und ich.»
«Uns gegenseitig, meinst du?», fragte sie schelmisch grinsend.
«Natürlich uns gegenseitig.»
«Hm», sagte sie. «Welche Leute sagen denn so etwas?»
«Lass mich mal überlegen – Tante Ames, Tom Geoghan und Mr. Bryce von der Arbeit. Windy Nuttall, dein Onkel Crowther. Einfach jeder.»
«Ach, tatsächlich. Das sind mir ja ein paar Spaßvögel. Ich wage mal zu behaupten, dass du alles andere als Heiraten im Sinn hast. Ich hoffe, du hast ihnen klipp und klar gesagt, was du von ihren Vorschlägen hältst?» Sie reckte das Gesicht dem Wind entgegen und sah aus, als sei sie für immer damit zufrieden, die angenehm frische Brise auf der Haut zu spüren.
Von einem Moment auf den anderen wurde ich von heftigen Zweifeln gepackt. Während ich neben ihr herging, lauschte ich ihren Worten im Geiste erneut. «Willst du mich denn heiraten?», fragte ich schließlich.
«Ach, werde ich etwa auch gefragt? Entscheiden das nicht du und diese
Leute
?»
Ich nahm ihre Hand und ging dicht neben ihr her. «Komm schon, Kitty, mach dich jetzt nicht über mich lustig. Heiratest du mich oder nicht?»
Sie zuckte mit den Schultern, blickte zu den Heads hinüber. «Vermutlich schon», kam es über ihre Schulter zu mir herübergeweht. Ich war kurz davor, ihre Hand wegzustoßen und davonzulaufen, als sie hinzufügte: «Meinst du nicht?» Sie wandte sich um, schenkte mir einen zuckersüß-durchtriebenen Blick und sagte mit ihrem Kuss – leider nur einem kurzen, schließlich waren wir in der Öffentlichkeit – all das, was ihre Worte nicht verraten hatten: Sie war überrascht, aufgeregt und ein wenig ängstlich.
Wir setzten unseren Spaziergang fort, und, genau wie Jeannie gesagt hatte, war auf einmal alles ganz anders: Der abendliche Sonnenschein umgab die Dinge mit goldenen Konturen, die Schatten der Schornsteine und Masten fielen schwarz und scharf umrandet auf die sonnenbeschienenen Wände der Lagerhäuser. Jede Möwe beschrieb im Flug einen ausgefeilteren Bogen oder drapierte die angelegten Flügel noch adretter; jeder Stein, jedes Holzbrett trat in eine andere Lebensphase ein, die sich deutlich von der unterschied, die wir vor wenigen Augenblicken hinter uns gelassen hatten. «Das ist der Tag, von dem du unseren Enkeln erzählen wirst», sagte ich, und Kitty drückte meine Hand.
Wir erreichten Cobalts Laden und traten den Rückweg an. «Eine Sache», sagte Kitty. Wieder blickte sie woanders hin. Zwischen den Heads plusterten sich golden glänzende Wolken auf. «Dein Haus auf Rollrock.»
«Du willst auf
Rollrock
leben?»
«Ganz bestimmt
nicht
», sagte sie. «Ich möchte, dass du das Haus loswirst. Beim bloßen Gedanken daran läuft’s mir eiskalt den Rücken runter.»
«Aber warum das denn? Ich war doch schon seit Jahren nicht mehr dort.»
«Aber das Haus ist trotzdem noch da, du hast immer noch einen Platz bei diesen Männern und ihren … was sie geheiratet haben. Ich will niemals dahin, und ich möchte auch nicht, dass du denkst, du könntest dorthin gehen.
Zurück
gehen, meine ich, und dazugehören.»
«Keine Sekunde hab ich so was gedacht!»
«Ich weiß», sagte sie ein wenig versöhnlicher. «Aber das heißt nicht, dass du’s nie tun würdest, solang du dieses Haus besitzt. Verkaufst du es bitte, Dominic? Damit ich meine Ruhe habe?»
«Warum um alles in der Welt solltest du Angst davor –»
Aber sie
hatte
Angst. Sie war nicht mehr zuckersüß-durchtrieben; sie sah mich ernsthaft besorgt an. «Das ist die einzige
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