Seejungfrauen kuesst man nicht
zu lassen, würden sie garantiert eine schreckliche Zeit haben.
»Hier ist unsere Telefonnummer am ersten Abend«, sagte Mutter und händigte mir ein DIN-A4-Blatt mit allen Details ihrer Reiseroute aus. »Das Cottage hat kein Telefon, aber tagsüber kannst du eine Nachricht bei der Post hinterlassen. Und wenn du uns abends erreichen musst, gegenüber ist ein Pub, und du wählst diese Nummer und fragst nach Mr. Pollitt, dann holt er uns.«
Ich nickte, ohne wirklich zuzuhören. Über ihre Schulter hinweg sah ich, wie Vater mit einer Kiste Vorräte zum Auto schwankte. Das machten sie immer: Sie kauften alles vorher ein, überließen nichts dem Zufall, für den Fall, dass Müsli oder Earl Grey in Wales schwer zu kriegen wäre. »Ich rufe dich jeden Abend um fünf nach sechs von der Telefonzelle aus an. Wenn du nicht abnimmst, versuche ich es noch mal um zehn.« Mutters Stimme leierte weiter. »... Im Sekretär ist etwas Geld für Notfälle. Vergiss nicht, die Rosen zu gießen, wenn es trocken ist - benutz nicht den Sprinkler, davon werden die Blütenblätter braun. Die Hängekörbchen müssen jeden Tag gegossen werden. Oh, und es ist noch etwas Gehacktes im Kühlschrank, das fast schlecht ist, das muss gegessen werden. Viel Spaß.«
Die Woche wurde nur von einem knackenden Telefonanruf von Frances belebt. Sie hatte kaum Zeit, die Information zu übermitteln, dass sie in Rom seien, sich blendend amüsierten, dass es knallheiß sei und sie gerade aus der Peterskirche geworfen worden sei, weil sie eine kurze Hose trüge, bevor die Leitung tot war. Das war meine einzige Nachricht von den Europareisenden, abgesehen von einer Postkarte, die an dem Tag ankam, als sie zurückkommen wollten. Jeder hatte eine Zeile darauf gekritzelt.
Obwohl mein heilig gesprochener Namensvetter angeblich Tiere liebte, sind in der Basilika »Hunde verboten!« Das würde Growth nicht gefallen. Frances.
Wir haben den verknöcherten Überresten der Heiligen Klara und Franz unsere Aufwartung gemacht. Sehr erpicht auf Knochen, diese Katholiken. Das würde Growth gefallen. Rad.
Wir schreiben das in einem Ristorante. Kalbfleisch exzellent. Nicky.
Bei Frances‘ Rückkehr war ihr Empfang in der Schule nicht wärmer als im Vatikan. Mrs. Gledloes Ankündigung war keine leere Drohung gewesen, und die Radleys wurden aufgefordert, Frances von Greenhurst zu nehmen, damit sie nicht als erstes Mädchen in der Geschichte der Schule ausgeschlossen wurde. Dementsprechend wechselte sie zum örtlichen Oberstufengymnasium - ein Glas- und Betonblock aus den Sechzigern in der Innenstadt wo sie Jeans tragen, in der Kantine rauchen und am Unterricht teilnehmen durfte, wenn sie Lust hatte. Die zweite dieser Freiheiten interessierte sie nicht, doch von der ersten und dritten machte sie jeden nur möglichen Gebrauch, und ihre jeansbekleidete Gestalt ward in diesen graffitibemalten Hallen nur gelegentlich gesehen.
31
Anne Trevillions Party war die Party, auf die ich mich mein ganzes Leben lang vorbereitet hatte, und trotzdem kannte ich sie davor nicht und habe sie seitdem auch nie mehr gesehen.
Es war am Ende meines letzten Schuljahres, ein Jahr, in dem mein Stern so schnell aufgestiegen war wie Frances‘ verblasst war, was so weit ging, dass die Direktorin inzwischen meinen Namen kannte und mir eine Empfehlung schreiben konnte. Meine Mutter führte diese Entwicklung auf meine Erlösung von Frances‘ unheilvollem Einfluss zurück, und indirekt hatte sie damit wahrscheinlich sogar Recht. Ich hatte mich mehr angestrengt als je zuvor, in der Schule und beim Celloüben, weil ich nichts anderes zu tun hatte. Mein Vorspielen war gut gelaufen: Ein Platz am Royal College of Music hing von Noten ab, die ich leicht schaffen würde; ich musste nur noch warten.
Meine Einladung zu der Party erhielt ich durch Rad und Nicky. Es war Wimbledon-Zeit, und die beiden waren gerade auf dem Rückweg vom Turnier und kamen an ein paar öffentlichen Tennisplätzen vorbei, auf denen ein Spiel im Gange war, als Nicky von einem Tennisball, der über den Zaun geflogen kam und ihn mit voller Wucht am Hinterkopf traf, fast niedergestreckt wurde. Die Attentäterin war ein weiblicher Teenager. Sie muss ihr Glück kaum zu fassen gewagt haben, so mühelos zwei so anständige Typen zur Strecke gebracht zu haben. Während des langen Gesprächs, das ihren überschwänglichen Entschuldigungen folgte, stellte sich heraus, dass sie am darauf folgenden Wochenende achtzehn wurde und eine kleine
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