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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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machen, und wischte das Glas mit einem Geschirrtuch sauber. Dadurch sah der Rest des Zimmers noch schmutziger aus, aber ich sollte verdammt sein, wenn ich den ganzen Vormittag mit Waschen und Wischen verbringen sollte. Eine Aufgabe wie diese würde man nie zu Ende bringen - man würde untergehen.
    Rad kam noch vor dem Mittagessen zurück. Ich beobachtete ihn dabei, wie er mit zwei Tragetaschen voller Lebensmittel in jeder Hand und einem halben Dutzend von Lexis frisch gereinigten Kleidern über der Schulter die Straße entlang kam. Ich winkte ihm, aber bevor er mich sah, wurde er von Fish abgefangen, der seine Auffahrt umgrub, und es dauerte zehn Minuten, bevor er sich wieder losreißen konnte.
    »Schwachkopf«, sagte er, als er die Tür hinter sich zutrat, eine Bemerkung über Fish, wie ich annahm, nicht über mich. »Oh, hallo.« Er streifte meine Lippen mit seinen, als er auf dem Weg in die Küche mit dem Einkauf an mir vorbeikam. Nachdem er eine Tasche geleert hatte, hielt er inne, weil er die ungewöhnliche Stille im Haus registrierte. »Sind wir allein?«, fragte er und warf Schachteln mit Fertiggerichten in die Kühltruhe.
    »Abgesehen von Auntie Mim, ja.«
    Sein Tempo erhöhte sich geringfügig. »Gut, das wäre geschafft. Ich geh mich umziehen.« Er klopfte auf sein T-Shirt und ließ dabei eine Mehlwolke aufsteigen. »Kommst du mit hoch?«, fügte er hinzu, eine Spur zu lässig.
    »Ähm ... okay«, sagte ich. Ich war mir der Bedeutung des Schrittes, die Türschwelle seines Zimmers zu überschreiten, durchaus bewusst und folgte ihm mit dem Gefühl einer drohenden Katastrophe nach oben.
    Als Rad den obersten Treppenabsatz erreicht hatte, hatte er sein T-Shirt bereits ausgezogen. Er warf es auf einen Wäschehaufen vor seiner Tür. Der einzige Stuhl im Zimmer war von einem Stapel aufgeschlagener Bücher und handschriftlich beschriebener Seiten besetzt - ein noch fertigzustellendes Essay -, deshalb setzte ich mich auf die Bettkante, während Rad vor seinem Schrank stand und seine drei Hemden betrachtete, als wäre er überwältigt von der Auswahl.
    Was, wenn er seine Hose auszieht?, war mein Hauptgedanke. Soll ich ihm dabei zusehen oder nicht?
    Doch er zerrte nur ein Hemd von einem Kleiderbügel und setzte sich neben mich aufs Bett, während er es zuknöpfte.
    »Bist du okay?«, fragte er schließlich und nahm meine Hand.
    »Ja, natürlich«, sagte ich.
    »Du bist mir doch nicht aus dem Weg gegangen, oder?«
    »Nein. Es ist nur, wir haben nie einen Moment ...«
    »Ich weiß«, sagte er. »In diesem Haus gibt es keine Privatsphäre.«
    Wir schwiegen. In all meinen Tagträumen und Fantasien über Rad, die ich über viele Jahre hinweg geprobt und verfeinert hatte, war es nie weiter gegangen als bis zu dem anfänglichen Moment des Eingeständnisses, zu diesem ersten Kuss, und jetzt hatte ich das seltsame und entnervende Gefühl, ohne Drehbuch auf der Bühne zu stehen. Was sollte als Nächstes passieren? Wie sollten wir dieses schwierige Terrain zwischen betrunkener Euphorie und dem normalen, nüchternen Alltag als trautes Paar bewältigen?
    »Wenn das ein Film wäre, wäre er schon zu Ende«, sagte ich. »Er hätte im Gartenhaus geendet, mit den hochschlagenden Flammen im Hintergrund.«
    »Wovon sprichst du?«
    Manchmal, wenn ich in Gedanken war, sprach ich offenbar einen Teil davon aus, ohne es zu bemerken. »Entschuldigung. Ich habe gerade gedacht, dass ich wünschte, wir wären wieder auf der Party. Aus irgendeinem Grund war es dort leichter zu reden. Vielleicht lag es daran, dass es dunkel war.«
    »Tja, wir können die Vorhänge zuziehen, wenn du möchtest«, sagte Rad, der mich missverstand. Er wartete nicht auf die Antwort, sondern zog sie einfach zu. Als er sich wieder setzte, war er sehr viel näher bei mir. In der Dunkelheit konnte ich, weiß auf seinen schwarzen Wimpern, Mehlkörnchen sehen.
    Wie taub war Auntie Mim tatsächlich?, fragte ich mich und dachte an die dünnen Wände.
    Am Briefkasten klapperte es. »Huhu«, rief eine Stimme. »Jemand da?«
    Growth, der geschlafen hatte, bellte gereizt. Rad legte einen Finger auf meine Lippen. »Wir sind nicht da«, flüsterte er und spähte durch einen Spalt im Vorhang. »Es ist Clarissa.«
    Ein Schlüssel quietschte im Schloss, und dann hörten wir, wie sich die Haustür öffnete. »Halloo! Lexi!«
    »Ach, typisch Mum. Halb London muss einen Schlüssel zu diesem verdammten Haus haben.« Er gab sich geschlagen und stand auf. »Hallo«, rief er über das

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