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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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vielleicht nicht mehr sehr groß«, sagte er.
    Es stellte sich heraus, dass das Museum bei Hügel zweiundsechzig aus ein paar feuchten und zugigen Räumen hinter einer Bar bestand. Glasvitrinen mit deutschen Helmen, Gewehren, Schwertern, Abzeichen und Taschenuhren, nichts davon beschriftet, standen an einer Wand. Auf dem Boden waren rostige Granatenhülsen, Feldstecher, Stacheldrahtstücke, Flaschen und eine Sammlung einzelner Stiefel angehäuft, verbeult, verrottet und noch immer schlammverkrustet. Eine Schneiderpuppe mit dem Kopf einer Schaufensterpuppe stand mitten im Raum, bekleidet mit einem grünen Mantel, einer Gasmaske und einem angeschlagenen Helm. Auf einem Tapeziertisch war eine Sammlung hölzerner Gerätschaften mit Sepiadias arrangiert. Rad setzte sich sofort vor einen der Kästen und kurbelte am Griff. Er winkte mich heran, und ich setzte mich auf seinen Platz, schaute durch die Linse und sah zu, wie die Bilder scharf wurden und dann dreidimensional. Ich sah eine Gruppe Soldaten, die sich an die Seite eines Schützengrabens lehnten, Blechbecher in der Hand hielten und mich mit ernsten Gesichtern und glasigen, geschwollenen Augen ansahen; eine teilweise verweste Leiche saß in einem Unterstand, als würde sie sich ausruhen. Auf dem nächsten Bild hing ein totes Pferd in einem Baum.
    Rad war ins Hinterzimmer geschlendert, das noch mehr nicht klassifizierte Militaria enthielt: Gewehre, Granatenhülsen und noch mehr einzelne Stiefel. Im Durchgang zwischen den beiden Zimmern stand - ausgerechnet - ein Kaugummiautomat aus Plastik. Mr. Radley tauchte in meiner Nähe auf, wartete, bis Rad außer Hörweite war, und sagte dann: »Ich kann genauso gut in der Bar auf euch warten. Keine Eile - lasst euch nur Zeit.«
    Im Wald draußen war ein Gebiet mit Original-Schützengräben. Sie sahen insgesamt weniger behaglich aus als die Rekonstruktionen aus Gras und Beton in Vimy. Hier war der Boden aus Lehm und selbst an einem warmen Sommertag klebrig und nass. Rostiges Wellblech lehnte an den Wänden, und in der Luft hing der Geruch feuchter Erde und verrottender Vegetation. Rad lief am Schützengraben entlang und kaute konzentriert an seinen Fingernägeln. Er und Frances waren unverbesserliche Nägelkauer; Frances kaute sie manchmal so weit ab, dass sie bluteten, und dann erschien sie mit Pflastern auf jedem Stummel in der Schule wie das Opfer von Erfrierungen.
    Vor mir stand ein Kreis aus riesigen kaffeefarbenen Pilzen mit einer Haut wie Wildleder. Ich kniete mich hin, um einen anzufassen, und als ich über die Oberfläche strich, explodierte eine kleine Wolke Sporen aus den Lamellen.
    »Abigail«, sagte eine Stimme eindringlich, und als ich rasch aufblickte, hörte ich ein Klicken, und Rad senkte lächelnd seinen Fotoapparat. »Danke«, sagte er.
    »Aber ich hatte den Mund offen«, protestierte ich, trotzdem geschmeichelt und erfreut.
    »Ah, aber du hast so natürlich ausgesehen. Und das Licht fiel so schön auf diese Schirmpilze.«
    »Na, dann bin ich ja froh, dass die Pilze sich von ihrer besten Seite gezeigt haben«, sagte ich, stand auf und wischte den Schmutz vom Saum meines Kleides.
    Rad spulte den Film zurück und zog die Rolle aus der Kamera. »Es war die letzte Aufnahme«, sagte er. »Es wird wahrscheinlich sowieso nichts.«
    Also hatte er nur ein Foto gemacht, um den Film zum Entwickeln geben zu können; nicht als Andenken, das er mit nach Durham nehmen würde, um sich vor Kummer darüber zu verzehren. Tja, das würde mir eine Lehre sein. »Freust du dich auf die Universität?«, fragte ich und köpfte gedankenlos mit der Schuhspitze einen Pilz.
    »Ja und nein. Der Studiengang scheint gut zu sein, und das Studentenwohnheim ist eine Art Schloss, aber den Gedanken an die Einführungswoche und daran, dass ich gesellig sein muss, finde ich ein bisschen einschüchternd.« Er machte eine Pause. »Und zu Hause werde ich ein paar Dinge vermissen. Ich meine Leute, nicht Dinge. Ich wünschte, ich hätte mich für London entschieden, wie Nicky. Aber ich nehme an, es ist gut, wenn ich mal von Mum und Dad wegkomme. Besonders von Dad.« Er sah sich besorgt um. »Apropos - wo ist Dad?« Ich deutete auf die Bar und war überrascht, als ich sah, dass sein Gesicht lang wurde. »Oh Gott. Wie lang ist er da schon drin?«, fragte er.
    »Seit wir angekommen sind«, sagte ich. Durch den Eingang sah ich Mr. Radley mit drei leeren Bierflaschen vor sich in einer Haltung tiefer Zufriedenheit an einem der entlegensten Tische sitzen. Er

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