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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem Handtuch tauchte. »Hier ist das Buch, das ich dir versprochen habe«, und er schmiss eine alte Penguin-Ausgabe von Goodbye to All That aufs Bett. Eine genauere Inspektion bestätigte meine Bedenken - es wurde von einem Gummiband zusammengehalten, und als ich es abnahm, fiel das ganze Ding wie ein Kartenspiel auseinander.
    Die Atmosphäre beim Dinner war angespannt. Lexi warf ihrem Mann einen überraschten Blick zu, als er den Weinkellner heranwinkte, zog dann die Augenbrauen hoch und sah Rad an, der mit den Schultern zuckte. Frances brach das Schweigen, als zwei Flaschen Rotwein an den Tisch gebracht wurden, die der Kellner flott entkorkte, als würde er Hühnern den Hals umdrehen.
    »Für wen sind die?«, wollte sie wissen und starrte ihren Vater wütend an.
    »Letzter Ferientag. Ich dachte, wir sollten feiern«, sagte er und schenkte Wein in Lexis Glas, bevor er die Flasche wie ein geladenes Gewehr auf mich richtete. Ich schwankte. Rad und Frances hielten beide ihre Handflächen über die Gläser. »Schenk den beiden Spielverderbern keine Beachtung«, sagte er. Nach dem, was Rad mir erzählt hatte, wollte ich Mr. Radley nicht auch noch ermutigen, doch dann folgerte ich, wenn ich Ja sagen würde, wäre weniger für ihn übrig. Also ließ ich ihn mir ein Glas einschenken, beschloss jedoch, es nicht zu trinken.
    Lexi hatte die Speisekarte in der Hand und überlegte. Während des Urlaubs war mir aufgefallen, dass sie unfähig war, eine Mahlzeit zu bestellen, ohne den Kellner regelrecht zu verhören, wie sie voraussichtlich beschaffen sein würde. »Ist da eine Soße dabei? Ist es eine einfache Pastete? Ist es sehr schwer/süß/salzig?« Ebenso wurde kaum ein Gericht bestellt, das nicht für irgendeine Verbesserung zurück in die Küche geschickt wurde: Es war zu wenig gebraten oder verkocht; zu kalt oder nicht kalt genug. Es lag nicht daran, dass Lexi penibel war: Es war nur eine Demonstration ihres Selbstvertrauens - eine Weigerung, zu nachgiebig, entgegenkommend und britisch zu sein. Meine Erziehung hatte mich gelehrt, dieses Benehmen als unhöflich anzusehen; meine Eltern würgten lieber rohe Leber hinunter, als zu solch extremen Maßnahmen zu greifen. Endlich stand ihr Entschluss fest. Sie hatte sich für das billigste Menü entschieden, vielleicht um ihren Mann zu tadeln, der sich nicht nur das menu gastronomique ausgesucht, sondern auch nur die Gerichte ausgewählt hatte, die mit Beilagen serviert wurden.
    Mr. Radley war immer dafür, sich mit anderen das Essen zu teilen, und pflegte sich schamlos hinüberzubeugen, interessante Happen von fremden Tellern aufzuspießen und uns als Gegenleistung dazu zu zwingen, von seinem eigenen Gericht zu probieren.
    »Lass das«, sagte Frances gereizt und schnippte klappernd eine Schnecke zurück auf seinen Teller. »In diesem Urlaub hat Lawrence schon einmal versucht, mir diese ekelhaften Dinger aufzudrängen.« Es war einen Augenblick lang still.
    »Ach, ist er wieder aufgetaucht?«, sagte Mr. Radley. Er lachte nachsichtig. »Der treue, alte Lawrence.« Ein oder zwei Minuten lang war nichts zu hören als das Geräusch von Besteck auf Porzellan. Oha, dachte ich. Spannungen. Schließlich brach Mr. Radley das Schweigen.
    »Und wie hat dir Paris gefallen, Blush? Dein erstes Mal, nicht?« Und bevor ich die Chance hatte zu antworten, hatte er schon angefangen zu erzählen, wie es ihm gefiel. »Es ist eine wunderbare Stadt. Nur Rom ist noch schöner, meiner Meinung nach. Eines Tages zeige ich dir Rom«, versprach er. »Wie alt bist du?«
    »Fünfzehn.«
    »Es hat fünfzehn Jahre gedauert, bis du nach Paris gekommen bist. Sagen wir, es dauert noch mal fünfzehn, um nach Rom zu kommen.« Er sah auf die Uhr. »Wir treffen uns am 23. August 1996 um acht Uhr auf der Spanischen Treppe, unter Keats‘ Fenster.«
    Das erschien mir unwahrscheinlich. »In Ordnung«, sagte ich.
    »Sie glaubt mir nicht!«, rief er aus.
    »Tja, sie ist ja nicht blöd«, sagte Lexi.
    Da Mr. Radley mehr Gänge hatte als wir anderen, mussten wir dasitzen und ihm dabei zusehen, wie er seine moules in Angriff nahm, was er geräuschvoll und voller Enthusiasmus tat, als hätte er am liebsten alles in sich hineingestopft, mit Schalen und allem.
    Frances fing an, Rad die Regeln eines Spiels namens »Zehn Fragen« zu erklären, das wir auf der Hinfahrt erfunden hatten, gegen das er ständig Einwände erhob, während Mr. Radley den Boden seiner Schüssel mit einem Stück Baguette auswischte. Er verteilte dabei so

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