Seekers 03: Auf dem Rauchberg
rächen.«
»An uns?«, fragte Toklo. »Das wäre ziemlich dumm. Nein, das hier sind einfach nur Berge. Komm, gehen wir zu Lusa zurück.«
Kallik konnte weder die Felswände sehen, die sie auf dem Hinweg passiert hatten, noch den Wasserlauf, dem sie gefolgt waren. Sie roch Rauch und Kiefern, aber keine Beutetiere. Auf der einen Seite gähnte der Abgrund, auf der anderen erstreckte sich der Kiefernwald. Normalerweise konnte Kallik Bärengeruch über Himmelslängen hinweg wahrnehmen, doch jedes Mal, wenn sie hier ihre Nase in die Luft hielt, steigerte sich ihre Verwirrung nur noch mehr.
»Ich glaube, wir haben uns verlaufen«, stellte sie irgendwann leise fest.
»Unsinn«, fauchte Toklo. »Braunbären verlaufen sich nicht.« Aber auch er wirkte verunsichert. Bei jedem kleinen Geräusch riss er den Kopf herum.
Kallik schloss die Augen. »Eisseelen, bitte führt uns«, flüsterte sie. »Bitte sorgt dafür, dass wir heil zu Lusa und Ujurak zurückkehren. Wir bitten euch, Seelen des Eises, beschützt uns vor diesen Bergen.«
»Welches Eis?«, brummte Toklo.
Kallik achtete nicht auf ihn und betete weiter. Sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Mit einem gereizten Knurren drängte Toklo an ihr vorbei und trottete durch die Bäume davon.
Kallik erhob sich schnell, um ihm zu folgen. Sie wollte ihn nicht noch einmal aus den Augen verlieren.
Sie waren erst wenige Schritte gegangen, als es in Strömen zu regnen begann.
»Na toll«, grummelte Toklo. Er ging schneller, seine Tatzen platschten durch den Matsch, der sich rasch gebildet hatte.
Kallik erinnerte sich, wie Lusa über die Zeichen gesprochen hatte, die sie zu lesen versuchte. Wenn es böse Geister in diesen Bergen gab, dann gab es ja vielleicht auch gute? Sie blieb stehen und blickte sich um. Die Bäume standen hier weniger dicht, rechts sah sie nackte Felsen. Der Regen ließ alle Umrisse verschwimmen. Eisseelen? Seid ihr da?
Dann plötzlich weiteten sich ihre Augen, fast verschlug es ihr den Atem. »Toklo!«
Der Braunbär kam zurückgetrottet und hatte Mühe, im Matsch voranzukommen. »Was? Was ist los?«, fragte er unwirsch.
»Ich glaube, wir sollten dort langgehen.« Kallik deutete auf die Felsen.
Toklo starrte zu dem glatten grauen Gestein hin. »Warum?«
»Sieh mal hier, dieser Baum.« Kallik berührte ihn mit der Schnauze. »Siehst du?«
»Was soll ich sehen?«, brummte Toklo.
»Das Zeichen.«
Toklo schnaubte. »Jetzt fängst du auch noch an wie Lusa und siehst überall Zeichen!«
Kallik schüttelte ungeduldig den Kopf. »Sieh dir diese vier Zweige an. Sie sind alle noch ziemlich jung und wachsen in dieselbe Richtung. Sie zeigen auf die Felsen da drüben!«
»Was?«, fragte Toklo ungläubig. »Das ergibt genauso viel Sinn, als würde man einem Schmetterling folgen!«
»Nein, das ergibt sehr wohl Sinn«, beharrte Kallik. »Verstehst du nicht? Die vier Zweige, das sind wir. Wir sind Jungtiere, also so etwas Ähnliches wie junge Triebe, und wir sind alle zusammen auf Wanderschaft. Hier wird uns der Rückweg angezeigt, damit wir wieder alle zusammen sein können.«
»Wer sagt dir das?«, fragte Toklo herausfordernd. »Deine Eisgeister?«
»Nein, es müssen Lusas Geister gewesen sein. Die Seelen der Schwarzbären, die in diesen Bäumen leben«, erklärte Kallik. Sie war sich so sicher gewesen, doch nachdem sie ihre Erkenntnisse Toklo mitgeteilt hatte, kam sie sich doch ein wenig lächerlich vor. Würden die Seelen der Schwarzbären wirklich zu ihr, der Eisbärin, sprechen?
Toklo öffnete bereits das Maul, um ihr erneut zu wiedersprechen, doch Kallik schnitt ihm das Wort ab. »Vertrau mir einfach«, sagte sie. »Ich führe uns zurück zur Höhle.« Sie ging voran, aus dem Kiefernwald heraus auf eine felsige Ebene. Sie hoffte, dass sie überzeugt genug geklungen hatte. Danke, ihr Baumseelen. Ich verlasse mich auf euch.
Die Steine waren rutschig und die Bären mussten sich vorsichtig bewegen. Kallik suchte das kahle Gelände unablässig nach weiteren Zeichen ab. Helft mir, ihr Baumseelen, bitte . Schon machte sie sich Sorgen, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hatten, da entdeckte sie etwas Neues.
»Aah! Siehst du das da?«
»Nein«, erwiderte Toklo.
»Den kleinen schwarzen Stein dort!«, rief Kallik aufgeregt. In der Ritze zwischen zwei riesigen grauen Felsblöcken lag ein kleiner, vollkommen runder, tiefschwarzer Stein. Er schien geradezu zu funkeln, als würde das Sternenlicht sich in ihm spiegeln – oder als wäre eine Eisseele in
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